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Schrott für grünen Stahl : Wie kann Edelstahl nachhaltig werden?

Auch in Europa vernetzt: Aperam-Werk im belgischen Genk Bild: Picture Alliance

Mit eigenem Recycling will der Edelstahlhersteller Aperam seinen CO2-Ausstoß reduzieren. An dem Denken in Stoffkreisläufen könnten sich auch andere Edelstahlspezialisten in Zukunft ein Beispiel nehmen.

          3 Min.

          Der Weg zu „grünem“ Stahl führt in den meisten Hüttenwerken über Erdgas und später Wasserstoff, die Kohle ersetzen. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt der Edelstahlhersteller Aperam: Seine zwei Hochöfen in Brasilien befeuert er mit Holzkohle, um das Erz aufzuschmelzen. Das Unternehmen bewirtschaftet dafür riesige Plantagen mit schnell wachsenden Eukalyptusbäumen. Rund 120.000 Hektar gehören dem Konzern, der den vom Forest Stewardship Council (FSC) als nachhaltig zertifizierten Wald als Kohlenstoffsenke nutzt. „So schließen wir den Kreislauf: Die Bäume ziehen das Kohlendioxid aus der Atmosphäre, das bei der Stahlproduktion wieder ausgestoßen wird“, erläutert Finanzvorstand Sudhakar Sivaji im Gespräch mit der F.A.Z.

          Helmut Bünder
          Wirtschaftskorrespondent in Düsseldorf.

          Das Denken in Stoffkreisläufen gehört zur DNA des Edelstahlspezialisten, der vor zehn Jahren als börsennotierte Abspaltung des Branchenriesen Arcelor-Mittal entstanden ist und seinen Hauptsitz in Luxemburg hat. Rund 90 Prozent seiner Produktion erzeugt das Unternehmen aus Stahlschrott, der in Elektrolichtbogenöfen eingeschmolzen wird. Zwei dieser Anlagen stehen ebenfalls in Brasilien. Das industrielle Netzwerk in Europa, wo Aperam die Nummer zwei hinter der finnischen Outokumpu ist, umfasst Elektrostahlwerke, Gießanlagen und Walzwerke in Belgien und in Frankreich. In Deutschland ist der Konzern mit Servicecentern vertreten. Weil bei der Schrottverwertung sehr viel weniger CO2 anfällt als auf der Hochofenroute, punktet Aperam mit einer vergleichsweise günstigen Klimabilanz.

          „Wir haben den niedrigsten CO2-Fußabdruck in der gesamten Stahlindustrie“, behauptet Sivaji, der 2020 zu Aperam kam und zuvor unter anderem viele Jahre für den deutschen Branchenprimus Thyssenkrupp gearbeitet hatte. Im Durchschnitt fielen in der Aperam-Produktion je Tonne Stahl ungefähr 0,47 Tonnen Kohlendioxid an, verglichen mit rund 2 Tonnen bei der herkömmlichen Erzeugung von Primärstahl. Sivaji will den Wert weiter drücken – und sieht dafür auch ein wachsendes Interesse der Kunden. „Je weniger CO2, desto mehr glänzt der Edelstahl“, sagt er. Zum Ausdruck bringen könnte das eine gesonderte Marke, die Aperam für besonders klimaschonend erzeugtes Material entwickeln will.

          Reichlich verfügbarer Edelstahlschrott

          „Grünen Stahl für den Klimaschutz sehen wir nicht als Bedrohung, sondern als Chance für unser Geschäft“, sagt der Finanzvorstand mit indischem Hintergrund und deutschem Pass. Diese Ambition hat der Konzern, der immer noch zu gut 40 Prozent der Stiftung der Familie Mittal gehört, mit dem Kauf des Edelstahlrecyclingunternehmens ELG untermauert. Der im vorigen Jahr für einen Unternehmenswert von 357 Millionen Euro von der Haniel-Gruppe übernommene Schrottspezialist mit rund 1200 Mitarbeitern, davon ungefähr 250 in Deutschland, war schon vorher einer der wichtigsten Rohstofflieferanten.

          Er wird nun als eigenes Segment in den Konzern eingegliedert, der im vorigen Jahr aus dem Verkauf von rund 1,8 Millionen Tonnen Stahl 5,1 Milliarden Euro Umsatz erzielt hat. Ziel sei es, besseren Zugriff auf besonders begehrte Materialien zu bekommen und die Lieferungen enger in die Produktionsketten zu integrieren. Je sortenspezifischer die Schmelzöfen beschickt werden können, desto geringer seien der Energieaufwand und der CO2-Ausstoß. Rund 1,2 Millionen Tonnen Edelstahlschrott sammelt die ELG an 51 Standorten in zwanzig Ländern ein, davon rund 800.000 Tonnen in Europa. „Andere Hersteller haben Eisenerzminen, wir haben mit ELG eine Mine für Edelstahl“, meint Sivaji.

          Exporte in Drittländer

          Bisher freilich ist Edelstahlschrott am Markt reichlich verfügbar. Ein erheblicher Teil wird in Drittländer exportiert. Aber die Nachfrage steigt rapide, nicht zuletzt deshalb, weil auch asiatische Konkurrenten verstärkt auf Recyclingmaterial setzen. Das spiegelt sich sehr deutlich in den Preisen, die sich seit 2019 weit mehr als verdoppelt haben. „Wir schauen in die Zukunft und sichern unsere Rohstoffquelle für weiteres Wachstum“, so der Finanzchef. Die ELG soll aber auch weiterhin andere Abnehmer versorgen, und umgekehrt wird Aperam andere Lieferanten nutzen. Als einen Grund nannte er die Transportkosten, die bei Lastwagendistanzen von mehr als 300 bis 400 Kilometern zu hoch würden.

          Sich eigene Bezugsquellen für Recyclingmaterial zu sichern, treibt auch andere Metallunternehmen an. Einer davon ist der Aluminiumhersteller Speira: Er wartet gerade auf die kartellrechtliche Freigabe für die Übernahme von Real Alloy Europa , mit rund 600 Mitarbeitern in Deutschland, Norwegen Frankreich und Großbritannien eines der führenden europäischen Recyclingunternehmen für Aluminium- und Magnesiumschrotte. Eine weitere Transaktion wirft schon erste Schatten voraus: Die Berliner Entsorgungsgruppe Alba hat, angelockt durch das wachsende Interesse aus der Stahlindustrie, ihr Stahl- und Metallrecycling ins Schaufenster gestellt. Vorzugsweise wird ein strategischer Investor gesucht, der die Mehrheit an der börsennotierten Tochtergesellschaft Alba SE übernimmt. Denkbar sei aber auch ein vollständiger Verkauf. Bei Aperam liegt das Interesse derzeit allerdings eher auf der Integration der neuen Tochter ELG. „Wir sehen das Thema Recycling als eine klare Wachstumsstory. Zuerst wollen wir uns jetzt aber auf unser organisches Wachstumspotential konzentrieren“, meint Sivaji.

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