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Vollbremsung nach der Pandemie : Angst im Reich von Amazon

Harter Schlag für den Standort Brieselang: das Logistikzentrum nahe Berlin muss schließen. Bild: dpa

Für den Versandhändler ist Deutschland der wichtigste Markt nach Amerika. Auch hierzulande hat das Geschäft nach der Sonderkonjunktur in der Pandemie eine Vollbremsung erlebt – mit Folgen für die Beschäftigten.

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          Seit Monaten schickt der US-Versandhandelskonzern Amazon Schockwellen durch die Branche. In der Corona-Zeit, als viele Kunden im Lockdown steckten und wie wild übers Internet bestellten, war das Geschäft durch die Decke gegangen. Amazon investierte stark in sein Netzwerk – und tritt jetzt auf die Bremse, weil die Sonderkonjunktur schneller und härter endete als gedacht. In drei Wellen haben die Amerikaner einen Stellenabbau verkündet, der global 27.000 Posten betrifft. Auch in Deutschland ist die Stimmung gedrückt. Zwar ziehe das Geschäft wieder an, aber die Branche sei „durch die Krise noch nicht ganz durch“, sagt Rocco Bräuniger, seit gut einem Jahr Chef von Amazon im deutschsprachigen Raum.

          Christian Müßgens
          Wirtschaftskorrespondent in Hamburg.

          Rund 6000 Beschäftigte hatte der Konzern allein hierzulande im vergangenen Jahr neu angestellt. Nun arbeiten in Deutschland etwa 36.000 Menschen für Amazon. Mit einem Umsatz von rund 35 Milliarden Euro ist die Bundesrepublik der zweitgrößte Markt für den Konzern nach den Vereinigten Staaten. Auch an den deutschen Standorten seien Stellen vom Sparprogramm betroffen, sagt Bräuniger im Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten (CHW). Wie viele genau, dazu hält sich der Konzern, der in seinen Landesgesellschaften seit jeher nur begrenzt Informationen herausgibt, bedeckt.

          Deutschlandchef versucht zu beschwichtigen

          Wie in anderen Ländern stehen nach seinen Angaben vor allem Programme wie das Entwicklungsprojekt Scout im Fokus der Sparbemühungen. Es sollte das Potential von Lieferrobotern erproben, wurde aber eingestellt, mit Folgen auch für Beschäftigte in Deutschland. Gleichzeitig tritt Bräuniger der Angst vor harten Eingriffen quer durch die Belegschaft entgegen. Allein in den Jahren zwischen 2010 und 2021 habe der Konzern 48,5 Milliarden Euro in sein Deutschlandgeschäft gesteckt. Diesen Weg werde man weitergehen und Arbeit aufbauen, auch wenn vereinzelt Positionen wegfielen. „Ich kann natürlich nicht in die Zukunft blicken und weiß nicht, was da kommt, aber nach allen Planungen, die wir bis jetzt haben, werden wir weiter investieren, in Logistik, in Infrastruktur.“

          Nachdem Amazon vergangenes Jahr drei Standorte in Kaiserslautern, Helmstedt und Hof-Gattendorf aufgemacht hat, betreibt der Konzern hierzulande 20 Logistikzentren. Fest steht, dass innerhalb der nächsten drei Jahre zwei neue hinzukommen sollen. Gespräche für weitere Ansiedlungen liefen schon, sagt der Deutschlandchef. Amazon wolle außerdem bestehende Zentren ausbauen. Um das Netz noch dichter zu knüpfen, hat er den süddeutschen Raum im Blick, auch wenn es dort nicht leicht sei, an geeignete Standorte heranzukommen.

          Amazon-Verteilzentrum in Raunheim-Mönchhof: Rund 6000 Beschäftigte hatte der Konzern in Deutschland 2022 neu angestellt.
          Amazon-Verteilzentrum in Raunheim-Mönchhof: Rund 6000 Beschäftigte hatte der Konzern in Deutschland 2022 neu angestellt. : Bild: Michael Kretzer

          Wie groß der Druck in der Organisation ist, hatte sich zuletzt allerdings in Brieselang rund 30 Kilometer westlich von Berlin gezeigt. Dort will Amazon ein Logistikzentrum mit 65.000 Qua­dratmeter Fläche schließen, das der Konzern erst 2013 eröffnet hatte. Betroffen sind 600 Mitarbeiter, für die nun Möglichkeiten ausgelotet werden, an andere Standorte zu wechseln. Bräuniger verteidigt im CHW den Rückzug. Amazon automatisiere seine Zen­tren immer stärker, das sei in der Immobilie in Brieselang nicht möglich gewesen. „Dieses Gebäude konnte man nicht umbauen.“ In Regensburg schließt ebenfalls ein Standort, von dem aus ein Teil der Kundenbetreuung läuft. Wo Amazon überschüssige Flächen hat, denkt der Konzern auch darüber nach, diese unterzuvermieten.

          Einsparungen rufen Gewerkschaften auf den Plan

          Mit den Einsparungen zieht Amazon die Kritik der Gewerkschaften auf sich, die den Konzern wegen der Arbeitsbedingungen an seinen Standorten ohnehin im Visier haben. Verdi fordert, dass das Management die Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels anerkennt und einen Tarifvertrag „Gute und gesunde Arbeit“ abschließt. Bräuniger lehnt das ab. Schon die Einstiegslöhne des Konzerns in Deutschland seien am oberen Ende der Logistikbranche. In Umfragen unter Beschäftigten bekomme man sehr gute Rückmeldungen. Amazon trete mit Mitarbeitern direkt in Kontakt und brauche „keine dritte Person dazwischen“, lautet seine Botschaft an Verdi.

          Mit Blick auf den Markt sieht er nach der harten Vollbremsung inzwischen klare Erholungssignale. Der Konsumklimaindex des Einzelhandelsverbands HDE entwickle sich gut. Das decke sich mit der Nachfrage auf dem eigenen Portal. Von Möbeln bis Bekleidung gingen dort mehr Bestellungen ein, auch wenn Kunden in manchen Segmenten „preissensitiver“ seien, also eher nach Rabatten und günstigeren Alternativen suchten. Bräuniger erwartet, dass sich der Trend fortsetzt und die Branche wieder stärker auf einen Wachstumspfad zurückfindet.

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