Umweltpolitik (11) : Im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie
- Aktualisiert am
Gemeinsame Regeln in der Umweltpolitik Bild: dpa
Es wird viel über mangelnde Bürgernähe der Europapolitik geklagt. Doch das Instrument der Bürgerinitiative und die Grundrechtscharta könnten Folgen haben. F.A.Z.-Serie: Die Macht der EU.
Es wird viel über mangelnde Bürgernähe der Europapolitik geklagt. Wenn es jedoch um Umweltverschmutzung, Gefahren durch verseuchte Lebensmittel oder gefährliches Kinderspielzeug geht, dann müssen Politiker und Beamte in Brüssel und anderswo nicht viele Worte darauf verschwenden, den Sinn gemeinsamer Regeln im schrankenlosen Binnenmarkt zu erklären. Im Spannungsfeld zwischen dem Streben nach mehr Wohlstand durch grenzüberschreitenden Wettbewerb und andererseits dem Anspruch der Menschen auf sichere Produkte und eine lebenswerte Umwelt spielt sich Europapolitik ab.
Die verschärfte Auseinandersetzung um das geplante EU-Regelwerk für die chemische Industrie (das sogenannte Reach-Projekt) bietet einen Vorgeschmack auf kommende Auseinandersetzungen im EU-Ministerrat und im Europäischen Parlament. Das Streben nach mehr Wettbewerbsfähigkeit und die Furcht um die Arbeitsplätze in Europa erscheinen häufig im Widerstreit mit den hehren Bekenntnissen Europas zu der 2001 auf dem Göteborger Gipfeltreffen beschlossene EU-Strategie zur "nachhaltigen Entwicklung". Auch wenn die Auseinandersetzung im Ton härter wird, dürften sich mit dem geplanten EU-Verfassungsvertrag die Spielregeln und Grundsätze für die europäische Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitspolitik nicht grundlegend verändern.
Alkoholmißbrauch, Tabakgenuß und Fettleibigkeit
Erst Ende vergangener Woche erregte der designierte zyprische Verbraucher- und Gesundheitskommissar Markos Kyprianou mit der Ankündigung Aufsehen, Alkoholmißbrauch, Tabakgenuß und Fettleibigkeit in Europa den Kampf anzusagen. Artikel I-17 der Verfassung beschränkt jedoch die Befugnisse der EU in der Gesundheitspolitik auf "Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen" und läßt die Kernzuständigkeit der Mitgliedstaaten unberührt. Hingegen zählt Artikel I-14 Umwelt- und Verbraucherschutz zu den "geteilten Zuständigkeiten", die der EU weitreichende Befugnisse zuweisen.
Die Europäische Kommission hatte sich während der Verhandlungen über die Verfassung vergeblich dafür ausgesprochen, dem neuen EU-Grundvertrag ein Protokoll zur nachhaltigen Entwicklung beizufügen. Damit sollte einerseits die nach außen gerichtete Verpflichtung der EU festgeschrieben werden, international dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung Nachdruck zu verleihen; andererseits sollten alle gesetzgeberischen Vorschläge der Kommission spezifisch auf ihre möglichen umweltpolitischen Auswirkungen hin geprüft werden. Allerdings führt der Verfassungsvertrag in Artikel I-3 ("Die Ziele der Union") neben dem Streben nach Wirtschaftswachstum und sozialem Fortschritt als dritte Säule "ein hohes Maß an Umweltschutz" sowie die "Verbesserung der Umweltqualität" aus.
Die "horizontale Verpflichtung"
Darüber hinaus soll die bisher in Artikel 6 des EG-Vertrags geregelte "horizontale Verpflichtung" zur Berücksichtigung des Umweltschutzes in der Europapolitik auch durch die Verfassung (Artikel III-119) bekräftigt werden. Eine entsprechende Regelung ist für den Verbraucherschutz (Artikel III-120) vorgesehen. Insgesamt gesehen bleiben die gesetzlichen Regelungen weitgehend unverändert.
Zu unterscheiden ist dabei zwischen Regelungen, bei denen der Umweltschutz im Vordergrund steht, und Regelungen, die primär der Verwirklichung des schrankenlosen Binnenmarktes dienen, aber unmittelbare umweltpolitische Auswirkungen haben. Handelt es sich beispielsweise um EU-Vorschriften zum Erhalt der Artenvielfalt oder zugunsten von Naturschutzgebieten, dann können die Mitgliedsländer nach Artikel III-234 (bisher Artikel 176 des EG-Vertrags) schärfere einzelstaatliche Vorschriften vorsehen. Eine entsprechende Klausel soll es künftig unverändert für Verbraucherschutzvorschriften geben (Artikel III-235).