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Umgangsrecht als Waffe : Kampf ums Kind

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Jedes Jahr muss in Deutschland für ungefähr 200.000 Kinder entschieden werden, ob sie nach der Trennung der Eltern bei der Mutter oder beim Vater leben. Bild: Getty

Nach der Trennung bleiben die Kinder fast immer bei der Mutter. Einige Ex-Frauen nutzen das aus und erpressen die Väter: Wenn du sie sehen willst, musst du zahlen.

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          Manche Menschen denken, im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Das gilt offenbar erst recht, wenn Krieg gegen die alte Liebe und um die gemeinsamen Kinder geführt wird. Dann mutiert das deutsche Scheidungsrecht zu einer Waffe, dann gibt es Verletzte und Verzweifelte. Genau 13 von ihnen, zwölf Männer und eine Frau, haben sich an einem Abend im Mai im Stadtteilladen in Berlin-Moabit zusammengefunden. In einer Selbsthilfegruppe des Vereins „Väteraufbruch für Kinder“ suchen sie Rat auf die Frage, was sie tun müssen, damit sie ihre Kinder wieder häufiger sehen. In ihren Geschichten geht es um Wut, Trauer, Hass – und um viel Geld.

          So auch im Fall von Peter. Der 50-Jährige stellt sich, wie in Selbsthilfegruppen üblich, nur mit seinem Vornamen vor. Peter ist ein Gewinnertyp. Er redet eloquent, gibt sich selbstsicher und trägt eine teure Designerbrille, Jackett und Hemd. Seine Geschichte aber kennt nur Verlierer. Peter hat seine Frau nach mehr als zwanzig Ehejahren verlassen, „weil ich unglücklich war und keine Zukunft für unsere Partnerschaft gesehen habe“. Das war vor sechs Monaten. Seine Frau ist damals aus allen Wolken gefallen, noch immer weint sie viel und wirft ihm „zwanzig verlorene Jahre“ vor. Peter hingegen hat schnell eine neue Wohnung und eine neue Freundin gefunden.

          Das Leid der Mutter aber färbt auf seine Kinder ab, die alle drei bei ihr geblieben sind. Die zwölfjährige Tochter beschimpft ihn nun abwechselnd als „Arschloch“ und als „Verräter“. Die 18-jährige Tochter schließt sich im Bad ein, wenn er sie besuchen will. Damit hatte Peter nicht gerechnet. Er kämpft mit den Tränen, als er von der Reaktion seiner Kinder erzählt. Immerhin melde sich der 17-Jährige noch bei ihm. „Aber auch nur, wenn er Geld braucht.“ Peter zahlt dann; alles ist ihm lieber, als auch diesen Kontakt noch zu verlieren.

          Dieses Tauschgeschäft, Geld gegen Umgang, betreibt nicht nur Peters Sohn. Auch mancher Erwachsene beherrscht es perfekt. Um die Regeln des Geschäfts zu verstehen, muss man das deutsche Unterhalts- und Umgangsrecht kennen. Jedes Jahr werden dem Statistischen Bundesamt zufolge ungefähr 160.000 Ehen geschieden. In ihnen leben etwa 130.000 minderjährige Kinder. Hinzu kommen weitere rund 70.000 Kinder, deren Eltern nicht verheiratet waren. Und für jedes Kind muss nach der Trennung geklärt werden, bei welchem Elternteil es künftig leben wird. Es sei denn, die Eltern entscheiden sich für ein Wechselmodell, dann teilen sich Vater und Mutter die Betreuung jeweils zur Hälfte.

          In aller Regel muss der Mann Unterhalt zahlen

          Doch das ist bislang die Ausnahme, deshalb müssen häufig die Richter entscheiden. Dabei lassen sie sich vom Kindeswohl leiten. Sie versuchen herauszufinden, ob das Kind wahrscheinlich besser bei der Mutter oder beim Vater aufgehoben ist. Der eine Elternteil darf und muss den Nachwuchs dann erziehen, Essen und Kleidung kaufen. Der andere Elternteil muss den sogenannten Kindesunterhalt zahlen. Im Gesetz ist das alles schön geschlechtsneutral formuliert. In der Praxis aber herrscht eine klare Rollenverteilung. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums gibt es in Deutschland 1,44 Millionen alleinerziehende Mütter und lediglich 182.000 alleinerziehende Väter. In 88 Prozent der Fälle erzieht die Mutter die Kinder und der Vater zahlt dafür.

          Allerdings erhält auch der Mann zwei Dinge. Zum einen bekommt er in 95 Prozent der Fälle ein gemeinsames Sorgerecht, darf also über den Wohnort, die Schule, die Religion und größere medizinische Behandlungen mitbestimmen. Zum anderen erhält er fast immer ein sogenanntes Umgangsrecht. Er darf seine Kinder also weiterhin sehen. Und genau an diesem Punkt beginnt das Geschacher, oft auch der Krieg. Die spannenden Fragen lauten dann: Wie oft darf der Vater seine Kinder zu sich holen? Und wie viele Euro muss er den Kindern eigentlich zahlen – offiziell und inoffiziell?

          „Wenn ich ihr nichts zahle, darf ich meinen Sohn nicht mehr besuchern“

          Johannes kann das genau sagen. Er ist Mitte zwanzig und Student, die Mutter seines Kindes ebenfalls. Laut Gesetz verdient Johannes zu wenig, um Unterhalt zahlen zu müssen. Das hilft ihm aber nicht. Unter der Hand gibt er der Mutter jeden Monat 60 Euro. Für ihn ist das viel Geld, doch Johannes sieht keine andere Chance: „Wenn ich ihr die 60 Euro nicht zahle, erlaubt sie mir nicht mehr, bei ihr vorbeizukommen und meinen Sohn zu besuchen.“

          Rechtlich gesehen ist das Erpressung, denn Johannes hat einen Anspruch darauf, sein Kind regelmäßig zu sehen. Doch Recht haben und zu seinem Recht zu kommen sind zwei unterschiedliche Dinge. Johannes jedenfalls berichtet: „Wenn ich ihr das Geld nicht gebe, erfindet sie Ausflüchte, warum es gerade nicht geht.“ Mal sei dann das Kind krank, mal die Mutter. Oder sie mache einfach nicht die Tür auf. Statt vor Gericht zu ziehen, zahlt Johannes lieber. Und erkauft sich so das Wohlwollen der Mutter.

          Dabei ist eigentlich bis auf den Cent genau geregelt, wie viel Unterhalt fällig ist. Dafür gibt es seit 1962 die Düsseldorfer Tabelle. In allen Scheidungsverhandlungen in Deutschland ist sie die Richtschnur dafür, wie viel Geld der getrennt lebende Elternteil seinem Kind überweisen muss und wie viel er mindestens für sich selbst behalten darf. Um möglichst gerecht zu sein, empfiehlt die Tabelle je nach Nettoverdienst des Zahlers und Alter des Kindes 40 unterschiedlich hohe Beträge. Verdient der Partner höchstens 1900 Euro netto, muss er monatlich 348 Euro zahlen, bis sein Kind sechs Jahre alt wird. Anschließend sind es bis zum zwölften Geburtstag 399 Euro, danach bis zur Volljährigkeit 467 Euro. Das Kindergeld wird zur Hälfte angerechnet, außerdem darf der getrennt lebende Elternteil 1080 Euro in jedem Fall für sich behalten. Partner, die mehr verdienen, werden deutlich stärker zur Kasse gebeten. Wer etwas mehr als 5000 Euro netto im Monat erhält, muss seinem volljährigen Kind 844 Euro überweisen.

          Rechtsanspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander

          Doch so exakt all diese Regeln auch sind – Rechtsanspruch und Wirklichkeit klaffen bisweilen weit auseinander. Einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge erhält etwa die Hälfte der Alleinerziehenden keinen einzigen Cent von ihrem Expartner. Ein weiteres Viertel bekommt zwar etwas, doch nur jeder vierte Unterhaltspflichtige begleicht den vollständigen Betrag. Auch deshalb leben laut Statistischem Bundesamt 43,8 Prozent aller Alleinerziehenden in ärmlichen Verhältnissen.

          Klar geregelt wird im Rahmen der Scheidung auf Antrag auch, wie häufig der getrennt lebende Elternteil sein Kind im Monat sehen darf. Dafür gibt es keine Tabelle mit Empfehlungen. Falls sich die Eltern nicht von alleine einigen, entscheidet der Richter je nach Lebenssituation im Einzelfall. Recht häufig geht es so aus, dass das Kind jedes zweite Wochenende zum Vater kommt und zusätzlich noch an einem Nachmittag unter der Woche. „Von Schulschluss bis 19:15 Uhr“ steht dann minutengenau im Umgangsbeschluss des Richters.

          Aber auch hier hapert es bisweilen an der Durchsetzung. Im Stadtteilladen in Moabit berichtet ein verzweifelter Vater vom letzten Treffen mit seinen Söhnen. Zum vereinbarten Übergabetermin sei seine Ex-Frau mit den Kindern runter auf die Straße gekommen. Dort soll sie ihre Söhne so lange angebrüllt haben, bis die nicht mehr zu ihrem Vater wollten. Der musste alleine abziehen.

          Für den unbeteiligten Zuhörer ist es in diesen Fällen unmöglich, die Sicht der Frauen zu erfahren. Die Männer in der Selbsthilfegruppe wollen anonym bleiben und nennen nicht einmal ihren Nachnamen, geschweige denn die Kontaktdaten ihrer Ex-Frauen. Manchmal kennen sie diese auch nicht mehr.

          „Natürlich kann man ungeheuer schikanieren“

          Für Fälle, in denen ein Elternteil den Kontakt zum anderen bewusst vereitelt, hat sich der Gesetzgeber etwas einfallen lassen, das Schwert der Justitia soll ja nicht stumpf sein. Wer sein Kind trotz anderslautender Vereinbarung nicht zu sehen bekommt, kann beim Familiengericht einen „Antrag auf Umgang mit dem Kind“ stellen. Der Richter kann dann ein Ordnungsgeld verhängen, einen neutralen Umgangspfleger einsetzen und zur Not sogar Ordnungshaft gegen den allzu widerspenstigen Elternteil verhängen. „Aber das dauert natürlich, da gehen die Schriftsätze dann erstmal hin und her“, berichtet die Frankfurter Rechtsanwältin Elisabeth Koch aus dem Alltag vor den Familiengerichten. „Und natürlich kann man ungeheuer schikanieren und zum Beispiel einen Urlaub kaputt machen.“ Wenn der Papa Tickets für den Flug nach Griechenland gekauft hat, reichen dafür schon zwei Stunden Verspätung aus.

          „Du bist immer in der schwächeren Position, wenn du etwas von jemandem willst“, gibt Koch zu bedenken. Das gelte für Geld, das jemand einem schuldig ist, genauso wie für den Umgang, den der Ex-Partner zulassen soll.

          Selbstverständlich gibt es Zehntausende Paare, die sich über all das keine Gedanken machen müssen, weil sie sich über kurz oder lang gütlich einigen. Zumindest im Gerichtssaal aber erlebt Koch mehr Paare, die erbittert um das Umgangsrecht streiten, als friedliche Eltern. „Die Kinder werden vielfach ins Waffenarsenal geladen“, sagt die Familienrechtlerin und frühere Universitätsprofessorin. „Dabei müssen die Mütter gar nicht alle böswillig sein, sie denken oft tatsächlich, dass der Umgang mit ihrem Ex-Mann schlecht für ihr Kind ist.“

          „Sonst stelle ich dir die Kinder vor die Tür!“

          Bisweilen werden die Gerichte und eigentlich sinnvolle Gesetze aber auch böswillig missbraucht. Wer noch Zweifel daran hat, wozu Menschen fähig sind, die sich einmal geliebt haben, jetzt aber um die Kinder kämpfen, der muss im Selbsthilfeladen in Berlin nur Sebastian zuhören. Kaum war die Trennung besprochen, tauschte seine Frau das Türschloss des gemeinsamen Hauses aus. Sie erstattete Anzeige wegen Körperverletzung, weil er sie getreten habe und eine weitere, weil er das gemeinsame Kind geschlagen habe. Eine dritte, weil er pädophil sei und die Tochter missbraucht habe. Ihr Anwalt schickte alle Anzeigen zusätzlich ans Jugendamt. „Es war und ist der totale Vernichtungskrieg“, berichtet Sebastian. Er brauchte Monate, um die Vorwürfe durch Gutachten zu entkräften, und drei Jahre, um wenigstens seine Hosen, Schuhe und Möbel aus jenem Haus rausholen zu dürfen, das laut Grundbuch zur Hälfte ihm gehört.

          Der Unterhaltsprozess dauerte noch länger, insgesamt viereinhalb Jahre. Schriftsätze und Gutachten mit Dutzenden Seiten wechselten unaufhörlich die Seiten. Am Ende kostete das Verfahren jede Partei 60.000 Euro. „Meine Frau hat leider einen neuen Partner gefunden, der ihr das alles finanziert. Hätten mir meine Eltern nicht geholfen, hätte ich vorher aufgeben müssen.“ Aktueller Stand: Seine Frau will 700 Kilometer weit wegziehen, dadurch könnte er seinen Sohn kaum noch sehen. Auch darüber wird jetzt wieder vor Gericht gestritten, es wird nochmal teuer.

          Um das Elend zu beenden, trommeln Väterverbände für eine grundlegende Gesetzesänderung. Statt dem Kind wie bisher ein festes Zuhause zu geben, wo es sich überwiegend aufhält, schlagen sie vor, das Wechselmodell als Regelfall vorzusehen. Dadurch würde Gerechtigkeit hergestellt und viel weniger gestritten, glauben sie. Die FDP und Teile der SPD sehen das genauso.

          Doch der Gegenwind ist stark. Kritiker wenden ein, dass es einem Kind nicht zumutbar sei, jede Woche umzuziehen. Auch funktioniere das Wechselmodell nur, wenn beide Eltern nach der Trennung nahe beieinander wohnen blieben und beide eine ausreichend große Wohnung finanzieren könnten. Und überhaupt seien viele Väter nur für dieses Modell, weil sie dann weniger oder keinen Unterhalt zahlen müssten. Im neuen Koalitionsvertrag taucht das Wort „Wechselmodell“ jedenfalls nicht auf.

          Ums Geld geht es auch bei der einzigen Frau in der Runde, die sonst aber alle Klischees auf den Kopf stellt. Die Mutter berichtet davon, dass sie ihrem Ex-Mann inoffiziell deutlich mehr zahlt, als sie müsste. Statt 700 Euro gibt sie ihm 1100 Euro jeden Monat – allerdings damit er die Kinder behält. Sie will sich lieber auf ihre Karriere konzentrieren. Seit Neuestem aber verlangt ihr arbeitsloser Mann nochmal 100 Euro mehr im Monat. „Er droht damit, mir die Kinder sonst von heute auf morgen vor die Tür zu stellen.“ Jetzt weiß sie nicht, wie sie damit umgehen soll.

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