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Uber und Fernbusse : Neoliberalismus zum Zugucken

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Die neuen Fernbusse und der Taxi-Schreck Uber zeigen, warum Wettbewerb ein Segen ist: Er belebt das Geschäft. Der Gewinner ist der Kunde.

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          Knallrot waren sie, jene Bahnbusse, mit denen wir damals in den späten 50er Jahren in die Oster-, Sommer- und Herbstferien von Stuttgart zu den Großeltern ins schwäbische Oberland fuhren. Der Bus war rappelvoll, die Luft zum Schneiden, das Geschaukele heftig: Spätestens in den Kurven des Albaufstiegs wurde es dem Fünfjährigen speiübel.

          Solche Erinnerungen waren es, weswegen wir – offen gesagt – die Idee, in Deutschland im Jahr 2013 wieder Fernbusse einzuführen, für eine ziemliche Schnapsidee hielten. Kein Mensch würde Fernbus fahren, so die Prognose, wo es doch viel bequemer mit ICE oder SUV von Stuttgart nach Ulm gehe.

          Lange nicht mehr lagen wir mit einer Prognose so daneben. Der Grund: Wir haben sowohl den technischen Fortschritt wie auch die Macht des ökonomischen Gesetzes unterschätzt. Der technische Fortschritt führt nämlich dazu, dass ein moderner Fernbus, vollklimatisiert und mit den raffiniertesten Stoßdämpfern ausgestattet, lautlos über deutsche Straßen gleitet und man – dem kostenlosen W-Lan sei Dank – ungestört dem Mail-Wechsel mit Freunden frönen, Musik hören oder Filme gucken kann.

          Am Ende profitiert der Kunde

          Jedenfalls macht der junge Mensch das so, und zwar in großer Zahl. Bis 2013 waren Fernbusse hierzulande nicht erlaubt, um der deutschen Staatsbahn keine Konkurrenz zu machen. Seit diese Wettbewerbshürde gefallen ist, sind in nur einem Jahr neun Millionen Fahrgäste mit den neuen privaten Busunternehmen gereist. Studenten freuen sich: Für sieben Euro von Köln nach Frankfurt, das ist konkurrenzlos günstig, wofür man gerne in Kauf nimmt, dass die Fahrt um einiges länger dauert als mit dem ICE.

          Nebenbei lässt sich an den neuen Fernbussen ein Beispiel aus dem Lehrbuch studieren. Die Lektion heißt: Warum Liberalisierung ein Segen ist. Die Antwort lautet: Weil Deregulierung Wettbewerb in die Welt bringt, der bekanntlich das Geschäft belebt. Der Deutschen Bahn entgehen durch die Fernbusse 50 Millionen Euro Umsatz. Da sie die Preise der Busse nicht unterbieten kann, kontert sie mit Geschwindigkeit und Qualität: Demnächst dürfen wir auch in den DB-Zügen überall kostenloses W-Lan erwarten. Eine Win-win-Situation!

          Eine noch größere Revolution ist derzeit bei den Taxis zu besichtigen, einem Markt, der in fast allen Städten der Welt seit dem 19. Jahrhundert als festes, von staatlichen Behörden unterstütztes Kartell organisiert wird: Wer eine Droschke betreiben will, muss als Eintrittspreis ein hohes Schutzgeld (genannt: Lizenzgebühr) bezahlen. Das funktioniert als Rationierung mit dem Effekt, dass es zu wenige, dafür aber zu teure Taxis gibt. Inzwischen hat aber der technische Fortschritt hier dazu geführt, dass jedermann ein Taxifahrer werden kann, weil man dazu noch nicht einmal besondere Ortskenntnis braucht – diese Arbeit übernimmt das Navi. Und die Logistik des Fahrdienstes übernimmt eine App. Das machen sich neu aus dem Boden schießende Limousinenfirmen („Uber“ & Co.) in einer rechtlichen Grauzone zunutze, denen das Taxikartell wurscht ist, deren Preise sie unterbieten, die aber mit mindestens ebenso großer Zuverlässigkeit und Transparenz ihre Kunden zum Ziel bringen.

          Die etablierte Taxibranche ruft in ihrer Not jetzt die Justiz zur Hilfe, um ihre Privilegien zu zementieren. Das mag die Revolution des Taxigewerbes verzögern. Doch gegen das ökonomische Gesetz ist nach aller Liberalisierungserfahrung auf Dauer kein Kraut gewachsen. Und das ist gut so. Denn am Ende profitieren die Kunden: Sie bekommen mehr Droschken zu günstigeren Preisen, wobei niemand gehindert ist, seinem alten Taxifahrer treu zu bleiben, dem er seit Jahren vertraut.

          Die neuen Fernbusse und die Taxi-Konkurrenten haben noch einen übergeordneten Nutzen: Sie zeigen, dass „Deregulierung“ nach der Finanzkrise zu Unrecht als neoliberales Teufelszeug in Misskredit geraten ist. Wirtschaft ist nicht dazu da, Privilegien von Unternehmen zu schützen, Wirtschaft ist für die Menschen da.

          Rainer Hank
          Freier Autor in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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