Hängepartie um Ceta : Ein europäisches Trauerspiel
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SOS – einfach irgendwo anrufen, und dann kommt Hilfe: Wenn das mal so einfach wäre. Auch die Euro-Krise, unser Bild stammt aus der EZB-Stadt Frankfurt, kann jederzeit wieder ausbrechen. Bild: dpa
Ceta kommt – aber der Streit um die Zuständigkeiten hat die Glaubhaftigkeit der EU schwer beschädigt. Für die Zukunft verheißt das nichts Gutes.
Rückblende: Es ist Anfang September 2010. Ein Jahr zuvor haben die Europäische Kommission und die südkoreanische Regierung sich grundsätzlich auf den Abschluss eines Freihandelsabkommens geeinigt. Es gilt als das ehrgeizigste Abkommen dieser Art, das die EU je ausgehandelt hat. Die feierliche Unterzeichnung des „Eukor-Abkommens“ beim EU-Korea-Gipfel wird seit Monaten vorbereitet.
Doch vor der geplanten Verabschiedung beim Treffen der damals 27 zuständigen Handelsminister regt sich plötzlich Widerstand aus einem einzigen Land: Italien. Der zuständige Minister Adolfo Urso klagt, das Abkommen gefährde die heimische Autoindustrie und damit Arbeitsplätze in Italien. Er kündigt sein Veto an. Handelskommissar Karel De Gucht reagiert gereizt. Der CDU-Europaabgeordnete und Handelspolitiker Daniel Caspary warnt: „Italien darf Europa nicht in Geiselhaft nehmen.“
Nach Tagen hektischer Krisendiplomatie lenkt Italien ein. Es erhält besondere Schutzklauseln für die Autoindustrie. Außerdem wird die vorläufige Anwendung des Abkommens um ein halbes Jahr auf Mitte 2011 verschoben. Am 6. Oktober unterzeichnen EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der koreanische Präsident Lee Myung-bak den „mit Abstand wichtigsten Handelsvertrag der EU mit einem anderen Land“, so Barroso. Er sei eine klare Antwort auf die „hässliche Fratze des Protektionismus“, sagt Lee. Ende der Debatte.
Belgien wie einst Italien
Sechs Jahre später: Es ist Anfang Oktober. Zwei Jahre zuvor haben die Europäische Kommission und die kanadische Regierung sich grundsätzlich auf den Abschluss eines Freihandelsabkommens geeinigt. Es gilt als das ehrgeizigste Abkommen dieser Art, das die EU je ausgehandelt hat. Seit Monaten wird die feierliche Unterzeichnung des Ceta-Abkommens beim EU-Kanada-Gipfel vorbereitet. Plötzlich regt sich Widerstand aus einem einzigen Land: Belgien - oder präziser, aus der Region Wallonien. Der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette wehrt sich gegen die geplanten Sondergerichte für Investoren und sorgt sich um die Landwirte. Er kündigt sein Veto an. Der CDU-Europaabgeordnete und Handelspolitiker Daniel Caspary warnt: „Wallonien darf Europa nicht in Geiselhaft nehmen.“
Seit der gescheiterten Einigung über Ceta am Rande des EU-Gipfeltreffens Ende der vergangenen Woche haben die Kommission, der Ministerrat und die Vertreter der belgischen Bundesregierung und der Regionen um eine Lösung gerungen. Erst am Donnerstag, als der geplante EU-Kanada-Gipfel schon vorläufig abgesagt war, einigten sie sich quasi in der Nachspielzeit auf eine Zusatzerklärung, welche die Bedenken der Wallonen aufnimmt.
Dennoch ist die Debatte dieses Mal alles andere als beendet - und das liegt nicht daran, dass die Proteste der Gegner weitergehen, um Ceta nun noch in der Ratifizierungsphase in den nationalen Parlamenten zu stoppen. Der Streit um das Abkommen mit Kanada hat die Glaubhaftigkeit der EU in der Welt grundlegend beschädigt. Als der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, am Donnerstagabend nach der Einigung in Belgien sagt, „Ich bin nicht der Meinung, dass wir hier ein Stück gehobener Staatskunst vorgelegt haben“, ist das die Beschönigung des Jahres.
Die EU hat sich blamiert, schlimmer noch, sie hat sich - wieder einmal - als faktisch handlungsunfähig erwiesen. „Wenn ich heute mein Handy anmache und die Nachrichten anschaue, dann sehe ich nur noch Krise, Krise, Krise“, sagt jemand, der noch vor kurzem ganz oben in der Hierarchie des EU-Ministerrats, des Gremiums der Staaten, stand.