Tiktok-Chef vor US-Kongress : „Ihre Plattform sollte verboten werden“
- -Aktualisiert am
Washington: Tiktok-CEO Shou Zi Chew muss vor dem US-Kongress aussagen. Bild: AFP
Der Tiktok-CEO Shou Chew ringt in einer Anhörung vor dem Kongress um das Fortbestehen seiner Video-App in den USA – und stößt auf wenig Sympathien.
Shou Chew hat einmal ein Praktikum bei Facebook gemacht. Es war im Sommer 2009, und er studierte gerade an der Eliteuniversität Harvard. Damals hätte er vermutlich nicht gedacht, dass er eines Tages den schärfsten Wettbewerber des amerikanischen Internetkonzerns führen würde. Seit 2021 ist er Vorstandschef von Tiktok, der zum chinesischen Bytedance-Konzern gehörenden Video-App, deren Siegeszug als ein wesentlicher Grund für die gegenwärtigen Turbulenzen von Facebooks Mutterunternehmen Meta gilt.
Am Donnerstag erlebte der 40 Jahre alte Tiktok-Chef einen der wohl schwierigsten Momente in seiner steilen Karriere. Er sagte in einer Anhörung vor dem Kongress in Washington aus, und dabei stand nicht weniger als Tiktoks Existenz in den USA auf dem Spiel. Die US-Regierung droht mit einem Verbot der App, es sei denn, die chinesischen Eigentümer verkaufen ihre Anteile.
Wenig Sympathie im Publikum
Erwartungsgemäß hatte es Chew bei der Anhörung mit einem feindseligen Publikum zu tun. „Ihre Plattform sollte verboten werden“, sagte die Abgeordnete Cathy McMorris Rogers gleich zu Beginn. Tiktok überwache „uns alle“ und man könne der App nicht vertrauen, „jemals amerikanische Werte anzunehmen“. Kat Cammack nannte Tiktok einen „verlängerten Arm von Chinas Kommunistischer Partei“.
Chew versuchte, sich zu verteidigen, und beklagte „Missverständnisse“, die es rund um sein Unternehmen gebe. Tiktok habe nie amerikanische Nutzerdaten mit der chinesischen Regierung geteilt und würde dem auch nie zustimmen. „Seit ich Vorstandschef bin, hatte ich noch nie Gespräche mit Vertretern der chinesischen Regierung.“
Tiktok habe zudem über ein Programm mit dem Namen „Project Texas“ einen Milliardenbetrag in eine neue Struktur investiert, die zusammen mit dem amerikanischen Softwarekonzern Oracle einen „Schutzwall“ um US-Daten errichte und es China unmöglich mache, Zugang zu erzwingen. „Amerikanische Daten werden auf amerikanischem Boden von einem amerikanischen Unternehmen gespeichert.“
„Sie haben Republikaner und Demokraten vereint“
Die Abgeordneten zeigten sich wenig überzeugt. McMorris Rogers nannte es eine „Lüge“, dass Tiktok nicht vor Chinas Kommunistischer Partei Rechenschaft abzulegen habe. „Project Texas“ beschrieb sie als „Marketingkomplott“. August Pfluger, der aus Texas stammt, legte Chew sogar nahe, dieses Programm umzubenennen. „Wir wollen Ihr Projekt nicht.“
Viele Abgeordnete zeigten sich frustriert von Chews Antworten, die sie zu ausweichend fanden. Beispielsweise ließ sich der Tiktok-Chef trotz mehrmaligen Nachhakens nicht einmal eine klare Antwort zu der Frage entlocken, ob Bytedance ein chinesisches Unternehmen sei. Chew wurde auch wiederholt nach der Behandlung der Minderheit der Uiguren in China gefragt. Eine Abgeordnete fragte drei Mal hintereinander: „Stimmen Sie damit überein, dass die chinesische Regierung die Uiguren verfolgt?“ Chew wich jedes Mal aus.
Der Tiktok-Chef wurde von Abgeordneten beider Parteien ähnlich scharf und mit ähnlichen Argumenten attackiert, was im polarisierten gegenwärtigen politischen Umfeld in Washington bemerkenswert ist. Ein Abgeordneter sagte zu Chew: „Sie haben Republikaner und Demokraten vereint – wenn auch nur für einen Tag.“
Vor der Anhörung am Donnerstag hatte eine Sprecherin der chinesischen Regierung gesagt, ihr Land werde sich vehement gegen einen von Washington erzwungenen Verkauf von Tiktok stellen. Einige Abgeordnete werteten das als Zeichen dafür, dass die Verbindung zwischen China und Tiktok enger sei als das Unternehmen zugebe. „Offenbar glaubt China, die Kontrolle über Tiktok zu haben,“ sagte der Abgeordnete Michael Burgess.
Schicksal der App bleibt ungewiss
Die Analystin Jasmine Enberg von der Marktforschungsgruppe Insider Intelligence sagte, das Schicksal von Tiktok in den USA nach der Anhörung sei „ungewisser denn je“. Die Fragen der Politiker seien „aufreibend“ gewesen, Chews Argumente zu seiner Verteidigung wie die Hinweise auf das „Project Texas“ seien „auf taube Ohren gefallen“. Enberg sagte, das US-Geschäft stehe für rund die Hälfte des globalen Tiktok-Umsatzes.
Im Vorfeld seines Auftritts hatte Chew schon einige Abgeordnete in Washington persönlich besucht, wobei die harsche Befragung am Donnerstag nicht den Eindruck entstehen ließ, er habe dabei viele Sympathien gewonnen.
Außerdem versuchte Chew, seine eigene Nutzergemeinde zu mobilisieren. Am Tag vor der Anhörung gab es eine Pressekonferenz mit Tiktok-Influencern. Chew wandte sich am Dienstag auch selbst in einem Tiktok-Video an seine Nutzer. Statt Anzug wie am Donnerstag trug er darin Jeans und Hoodie, und er sagte mit ernster Miene, „manche Politiker“ wollten Tiktok allen seinen 150 Millionen amerikanischen Nutzern „wegnehmen“.
Chew führt Tiktok von Singapore aus, wo er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt. Hier ist er auch geboren, aber er hat viel Zeit im Ausland verbracht. Er studierte in London, wo er dann einige Jahre für die Bank Goldman Sachs beschäftigt war, bevor er ein weiteres Studium in Harvard absolvierte.
Danach heuerte er in Hongkong für eine Beteiligungsgesellschaft an und kam dort als Investor erstmals in Kontakt mit Bytedance. Es folgten einige Jahre im Top-Management des chinesischen Smartphoneherstellers Xiaomi, bevor er zu Tiktok kam. Hier steht er nun im Rampenlicht wie noch nie – und gewiss mehr als im lieb ist.