Tierhaltung : Vom Nutzen des Tieres
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Weiderinder in Mecklenburg-Vorpommern: Tierhaltung als Kompromiss zwischen menschlichen Idealen, Tierbedürfnissen und ökonomischer Machbarkeit. Bild: ZB
Die Bürger wünschen sich den Tierstall wie einen Ponyhof. Nutztiere sollen es nicht schlechter haben als Haustiere. Die Politik lässt sich nicht lange bitten.
Mehr als zwei Drittel der Umsätze in der Landwirtschaft entstehen dadurch, dass Tiere ausgebeutet werden. Man hält sie in Ställen, um sie zu mästen, zu melken; der Tod erfolgt früh und unnatürlich. Knapp 200000 Landwirte sind Tierhalter und ernähren davon ihre Familien. Sie sind der Auffassung, dass es Tieren in den neuesten Ställen im Großen und Ganzen bessergeht als vor Jahrzehnten. Wenn sie sich im Fernsehen anschauen, wie blutig Tierhaltung dargestellt wird, glauben sie das nicht.
In fast jedem dritten Haushalt lebt in Deutschland ein Haustier. Jeder Zehnte ernährt sich vegetarisch, ein Teil vegan. An jedem Tag sagt ein Schauspieler oder Sportler, er sei jetzt auch Veganer. Manchmal heißt es, weil es gesund sei oder ökologisch angesagt. Meistens aber: damit die Tiere nicht mehr leiden müssen. Die radikale Parole lautet: Artgerecht ist nur die Freiheit. Die wiederum richtet sich selbst an die Hunde- und Katzenfreunde , denn kein Haustier ist frei, und übrigens sind die Haustiere ebenso Träger von multiresistenten Bakterien, wie Hühner aus Massenhaltung.
Konstanter Fleischkonsum, wenig beliebte „Alternativhühner“
Die Gemengelage ist ziemlich chaotisch. Man muss fragen: Ist das Nutztier überhaupt noch zeitgemäß? Aus dem Bewusstsein der Leute ist es verschwunden. Man kennt die Ställe nur aus dem Fernsehen, das über Skandale berichtet, und in der Landschaft stehen sie leider auch kaum mehr ein Schwein oder eine Kuh. Sie sind im Stall und werden von Robotern gefüttert oder gemolken. Der Bauer überwacht das auf dem iPhone.
Zugleich ist ein Puzzlestück in diesem paradoxen Nebeneinander von Land und Stadt, Jauchegestank und veganen Bistros, kleinbürgerlichem Metzgerdasein und bildungsbürgerlicher Avantgarde, dass die Sprache, die die Verbraucher im Supermarkt sprechen, ziemlich konservativ ist. Der Fleischkonsum ist nahezu konstant, Ökofleisch wird sogar weniger gekauft. Und selbst die sogenannten „Alternativhühner“, die das Unternehmen Wiesenhof mit Auslauf in Wintergärten und vergrößertem Platzangebot beschenkt hat und zum doppelten Preis des Billighuhns vertriebt, kaufen die Menschen kaum. Es ist nicht richtig, dass die Wirtschaft keine Angebote gemacht hatte. Sie werden aber kaum angenommen.
Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums, mehr als 450 Seiten dick, sollte nun Anweisungen für die Politik geben, wie mit all den Widersprüchen umzugehen sei. Aber es war selbst ein Protokoll der Ambivalenz. Und doch hat es etwas ganz Neues in die Debatte gebracht. Es machte die Gefühle der Menschen zum Tier zur relevanten Kategorie – und zwar nicht politischer, sondern wissenschaftlicher Betrachtung. Im Gutachten heißt es sinngemäß, die Verbraucher monierten, dass Landwirte mit Tieren Geld verdienten, was zum „Fehlen einer emotionalen Beziehung“ führe. Angesagt sei eine „neue Kultur des Konsums und der Erzeugung tierischer Produkte“. Oder: „Das Mensch-Tier-Verhältnis ändert sich, und die Forschungen zum gesellschaftlichen Wandel zeigen eine wachsende Bedeutung von Werten wie Mitgefühl und Bewusstsein für Tiere und Tierwohl.“
Darf man Tiere töten?
Ein Tierrecht auf Glück – was daraus folgt, ist klar: Bauern müssten Tiere im Prinzip halten wie andere Leute Hunde. Mit Zuwendung, abwechslungsreichem Programm, in ästhetisch vorzeigbarem Stall. Das wird ein langer Weg, stellen die Professoren klar. Und ohne Staat geht es nicht. Sonst ginge die Tierhaltung ins Ausland. So wird eine Verdopplung der Subventionen für die Landwirtschaft angeregt, Staatsgeld von 3 bis 5 Milliarden Euro im Jahr. Wenn man Landwirtschaft, polemisch gesagt, vom Ponyhof her neu definieren will, müsste man konsequenterweise fragen: Ist es überhaupt zumutbar, dass Tiere getötet werden – für Milch, Fleisch, Leder, Medikamente? Und haben Tiere nicht ein Recht auf ein langes Leben?
Dieser Gedanke ist unverschämt undemokratisch. Aber vielleicht ist es ein Fehler, auf die Gefühle der Bürger zu hören bezüglich einer Sache, von der sie wenig verstehen. Die Wissenschaftler raten zum „intensiven Diskurs zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik“ – doch warnen selbst: „Solche gesellschaftlichen Ansprüche können nicht unmittelbar in Politikmaßnahmen umgesetzt werden; dafür besitzt eine zunehmend urbane Bevölkerung zu wenig Kenntnisse von den landwirtschaftlichen Produktionsrealitäten.“ Was heißt „nicht unmittelbar“? Die Gutachter sind selbst ratlos: „In welchem Ausmaß allerdings Nutztieren Gelegenheiten zum Erleben positiver Emotionen gegeben werden soll, ist eine weitgehend offene ethische Fragestellung.“
Es wird Kompromisse geben müssen zwischen menschlichen Idealen, echten Tierbedürfnissen und ökonomischer Machbarkeit. Die Wissenschaft bringt sich in Position als Sprachrohr von Bürgerinteressen, denen sie selbst nicht traut. Das ist nicht ihre Aufgabe, sondern das Spielfeld der Politik. Die Gutachter fordern eine „Reduktion der Konsummenge von Fleisch“. Das wagt kein Politiker. Dafür gibt es keine Mehrheit, das zeigte das Debakel der Grünen mit dem Veggie Day. Es könnte ein Irrtum sein, dass die Leute meinen, eine „Ponyhofisierung“ der Nutztierhaltung sei ein Projekt bürgerlicher Freiheit.