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Öffentlicher Dienst : Tarifkampf um die Rolle des Staates

Sie fordern mehr Geld: Warnstreik in Bremen Bild: dpa

Verdi und Beamtenbund haben im Tarifkonflikt offenbar das Bedürfnis, es „denen“ mal zu zeigen. Vordergründig sind damit die öffentlichen Arbeitgeber gemeint. Letztlich geht es aber um die Bürger.

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          Die öffentlichen Arbeitgeber haben in ihrem Tarifstreit mit Verdi und DBB Beamtenbund zuletzt ein Lohnpaket angeboten, das sich mindestens auf einer Höhe mit dem jüngsten Tarifabschluss der IG Metall für die Metall- und Elektroindustrie bewegt. Aber im Unterschied zur IG Metall sehen die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes darin einen Anlass, zum unbefristeten Arbeitskampf aufzurufen – zum „Vollstreik“, wie es der DBB Beamtenbund nennt. Nur das in den Tarifregularien vorgesehene Schlichtungsverfahren steht vorerst noch dieser Eskalation im Weg.

          Dazu die Zahlen, wie sie das Bundesinnenministerium verbreitet hat: Die Arbeitgeber haben demnach als Inflationspuffer Einmalzahlungen von 3000 Euro netto angeboten, und daneben reguläre Tariferhöhungen von 8 Prozent für eine Vertragslaufzeit von 27 Monaten – kombiniert mit einem Mindestbetrag von 300 Euro mehr im Monat.

          In der untersten Tarifgruppe würden die Monatsgehälter damit um knapp 15 Prozent steigen. Die IG Metall hat in ihrem Abschluss von November 8,5 Prozent für eine Laufzeit von 24 Monaten herausgeholt, aber ohne einen Mindestbetrag. 3000 Euro Einmalzahlung gibt es dort auch.

          Geschwundene Bereitschaft zur Rücksicht

          Was das Umfeld der Tarifrunde im öffentlichen Dienst von jenem der Industrietarifrunden im Herbst unterscheidet, ist allerdings die inzwischen fast greifbare Chance sinkender Inflationsraten. Allein, es kristallisiert sich immer klarer heraus: Einer tatsächlichen Normalisierung der Preisentwicklung steht die geschwundene Bereitschaft lohnpolitischer Akteure im Weg, auf solche gesamtwirtschaftlichen Belange Rücksicht zu nehmen. Vielmehr scheint es gerade im öffentlichen Dienst in der diesjährigen Tarifrunde ein sich selbst verstärkendes Bedürfnis zu geben, es „denen mal zu zeigen“.

          Mit „denen“ sind vor allem Vertreter einer Politik gemeint, die den öffentlichen Dienst laufend für immer mehr und immer neue Aufgaben einspannt – ohne sich näher darum zu kümmern, wie diese Aufgaben zum vorhandenen oder realistischerweise verfügbaren Personal passen. Es geht um eine Politik, die es auf diese Weise zulässt, dass die Beschäftigten den wachsenden Ärger der Bevölkerung über Klüfte zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Alltag der Behörden und öffentlichen Einrichtungen ausbaden müssen.

          Nach dem Fiasko mit einer auf überlastete Ämter treffenden Wohngeldreform zu Jahresbeginn bahnt sich wohl gerade schon ein neuer Fall dieser Art an: Welche Behörden und welches Personal sollen eigentlich bald all das abarbeiten, was sich die Ampelkoalition rund um die „Wärmewende“ vorgenommen hat?

          Wer soll all die Heizungskeller kontrollieren, alle Umbaupläne auf Klimakonformität prüfen und genehmigen; wer die Anträge auf den versprochenen Sozialausgleich bearbeiten? Und: Wäre es nicht eigentlich besser, einen Personalaufbau unter Heizungstechnikern und -monteuren zu fördern als in der Bürokratie?

          Im Konflikt mit der steuerzahlenden Bevölkerung

          Womöglich liegen hier weitere, noch wenig diskutierte Argumente für eine Klimaschutzpolitik, die mehr auf Markt und Anreize als auf Verbote und Kontrollen setzt. Und auch jenseits davon wird wohl demnächst mit wachsender Schärfe die (Kosten-)Frage zu stellen sein, wie man zu einer eine Beschränkung von Auf- und Ausgaben für den öffentlichen Dienst kommt. Dem steht aber ein Selbstverständnis der Gewerkschaften entgegen, in dem ein Ausbau von Staatsaufgaben nicht nur als solcher willkommen ist, sondern auch als willkommener Hebel für umso stärkere Tariferhöhungen dient.

          Letztlich geht es nicht nur um einen Konflikt der Gewerkschaften mit den öffentlichen Arbeitgebern, sondern im Grunde auch mit der steuerzahlenden oder staatliche Leistungen erwartenden Bevölkerung. Aber das ist nur mittelbar Gegenstand des aktuellen Tarifstreits und des nun bevorstehen Schlichtungsverfahrens – insofern, als dass dieser Zielkonflikt durch die Position der kommunalen Arbeitgeber zum Ausdruck kommt.

          Das Schlichtungsverfahren wird aber auch eine spannende Prüfung für die Gewerkschaftsseite sein: Wird sich die Eskalationsdynamik in ihren Reihen überhaupt durch einen Schlichtervorschlag dämpfen lassen – oder ist der Wunsch nach einem „Vollstreik“ derart groß, dass es auf die Höhe dieses Vorschlags im Grunde kaum ankommt?

          Zudem steht die Harmonie zwischen Verdi und DBB Beamtenbund auf der Probe: Die Forderung nach der einheitlichen Mindesterhöhung bedient vorrangig die Interessen der Verdi-Klientel in den unteren Tarifgruppen – doch je größer und teurer dieser Baustein in einem Tarifpaket wird, desto weniger bleibt für die im Durchschnitt höher angesiedelte DBB-Klientel übrig.

          Schon in den nächtlichen Erklärungen der beiden Gewerkschaften zum Scheitern der Tarifgespräche wurde klar, dass sich der DBB dafür einer deutlich schärferen Wortwahl bediente als Verdi. Auch für die beiden Gewerkschaftsführungen und ihre Position in den eigenen Organisationen wird die Schlichtung zu einem brisanten Pokerspiel.

          Dietrich Creutzburg
          Wirtschaftskorrespondent in Berlin.

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