Jubiläum : Ernüchterung am Suezkanal
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Herzlichen Glückwunsch: Der Suezkanal wird 150 Jahre alt. Bild: AFP
Vor 150 Jahren wurde der Suezkanal eingeweiht. Bis heute lassen Ägyptens Staatschefs ihn ausbauen. Das neueste Projekt steht jedoch unter keinem guten Stern.
Wer vor 1869 mit dem Schiff von Europa nach Asien oder Ozeanien fahren wollte, kam nicht umhin, den afrikanischen Kontinent zu umsegeln. Dies änderte sich Mitte November 1869, also vor ziemlich genau 150 Jahren. Im Beisein hoher Persönlichkeiten aus aller Welt ließ Ägyptens Herrscher Ismail den Suezkanal mit Feierlichkeiten einweihen, die mehrere Tage dauerten.
Heute ist der Kanal für Ägypten nicht mehr wegzudenken. Die Wasserstraße im Osten des Landes hat die maritime Welt für immer verändert. Er halbiert die Strecke für einen Tanker von Saudi-Arabien nach Rotterdam; die Strecke für einen Container, der von Rotterdam aus Singapur ansteuert, verkürzt er um ein Drittel. Zeit ist Geld. Das wissen auch die Reeder. Im Jahr 2018 haben 18.174 Schiffe den Kanal durchfahren, rund 1,14 Milliarden Tonnen an Gütern wurden durch ihn transportiert. Im Fiskaljahr 2018 bis 2019 nahm Ägypten dadurch 5,9 Milliarden Dollar ein.
Kanal immer im Blick
Damit hält der Suezkanal zwar mit knapp 2 Prozent nur einen geringen Teil am Bruttoinlandsprodukt, bringt dem Land aber hohe Einnahmen an Devisen, die es so dringend benötigt. Auch politisch ist er von Bedeutung. Daher kann es kaum im Interesse der Staatengemeinschaft liegen, dass Instabilität das Land am Nil erfassen würde. Von 1967 bis 1975 war der Suezkanal wegen des Kriegs zwischen Ägypten und Israel gesperrt. Geschähe das heute wieder, würde es sich abermals negativ auf den Welthandel auswirken.
Die Herrscher Ägyptens können sich mit dem Suezkanal schmücken. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat jeder Staatschef Ägyptens mindestens ein arbeits- und vor allem kostenaufwändiges Ausbau- und Erweiterungsprojekt angeordnet. Ägyptens Präsident Abd al Fattah al Sisi ist keine Ausnahme. Nachdem er im Juli 2013 an die Macht gekommen war, widmete er sich zunächst Themen wie Sicherheit, Stabilität und nicht zuletzt der Sicherung seiner Macht. Dann wandte er sich dem Suezkanal zu. Am 5. August 2014 verkündete Mohab Mahmish, der damalige Vorsitzende der Suezkanalgesellschaft, den ehrgeizigen Plan: Ein 72 Kilometer langer, paralleler Abschnitt des Kanals sollte gebaut werden.
Das Ziel: bis zum Jahr 2023 die durchschnittliche Zahl der Schiffe, die täglich den Kanal durchfahren, von 49 auf 97 beinahe zu verdoppeln und die Einnahmen von 5,3 Milliarden auf 13,2 Milliarden Dollar zu erhöhen. Der Staat inszenierte die Eröffnung des neuen Abschnitts schon Monate vorher mit einer aufwendigen Medienkampagne. Werbeblöcke im Fernsehen priesen den „Neuen Suezkanal“ an.
Ägypter zum Kauf von Zertifikaten aufgerufen
Die ersten Ausbauarbeiten am Kanal begannen im August 2014 und waren knapp ein Jahr später fertiggestellt. Präsident Sisi weihte den Abschnitt von 35 Kilometern Länge am 6. August 2015 in der Stadt Ismailia ein. Ranghohe Gäste aus aller Welt, darunter der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, verfolgten von der Ehrentribüne aus die aufwendig inszenierten Festivitäten.
Auf Euphorie folgte jedoch Ernüchterung. Zwar ist die Zahl der Schiffe, die den Suezkanal durchqueren, von 2015 bis 2018 um fast Tausend gestiegen. Die Einnahmen sind um einige Hundert Millionen Dollar gewachsen. Aber das ist weniger als erhofft. Sollten beide Größen sich mit der gleichen Geschwindigkeit weiterentwickeln, wird das Projekt den Zielen, die die Suezkanalbehörde bis 2023 ausgerufen hat, nicht gerecht werden.
Der Großteil der Bevölkerung des wirtschaftlich ohnehin gebeutelten Landes hätte selbst bei erfolgreicher Umsetzung der ambitionierten Ziele kaum von dem Projekt profitiert: Die Transitgebühren fließen direkt in die Staatskasse. Die Regierung hatte das nach Angaben der Suezkanalbehörde 8,5 Milliarden Dollar teure Projekt nicht über einen Börsengang finanziert. Stattdessen gab sie Investitionszertifikate ohne Anspruch auf Miteigentum an Kleinanleger aus. Die Kampagne erklärte den Kauf zur patriotischen Pflicht – mit Erfolg. Nach knapp einer Woche waren alle Zertifikate im Wert von 64 Milliarden ägyptischen Pfund aufgekauft.
Viele Ägypter verwendeten dafür ihr Erspartes. Das Geld sollte an die Käufer innerhalb von drei Jahren mit Zinsen von 14 Prozent zurückgezahlt werden. Mahmish verkündete im August, dass das Geld am 4. September zurückgezahlt werde. Ägyptischen Medien zufolge sei dies auch geschehen und den Käufern habe die Möglichkeit offen gestanden, ihr Geld mit Zinsen zurückzubekommen. Viele hätten das Geld jedoch gar nicht zurückgefordert, sondern zugestimmt, es für neue Investitionen zu verwenden.
Die Aussicht, die angestrebten Ziele zu erreichen, ist allerdings nicht gut. Dies wird die Suezkanalbehörde jedoch nicht davon abhalten, das Projekt weiter voranzutreiben. Sollte es die angestrebten Ziele nicht erreichen, wäre das ein weiterer Rückschlag für Präsident Sisi, unter dessen Herrschaft die Wirtschaftslage sich nach sechs Jahren nicht wesentlich verbessert hat.