Hinter dem Regenbogen
Von LUCAS BÄUML und LANDO HASS12.03.2019 · Als Nelson Mandela vor 25 Jahren seine berühmte Rede von einer Nation im Frieden mit sich selbst hielt, war Südafrika voller Hoffnung. Davon hat sich vieles nicht erfüllt, wie die Fotografen Lucas Bäuml und Lando Hass zeigen.
Als die beiden Fotoreporter im Sommer vergangenen Jahres zweieinhalb Monate durch Südafrika reisten, trafen sie auf eine Gesellschaft, die von Gegensätzen geprägt ist. Wohlstand und Sicherheit auf der einen Seite, Armut und Gewalt auf der anderen. Eine schwarze Bevölkerungsmehrheit und eine weiße Minderheit, Liberale und Radikale, aber auch Offenheit, Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Oft waren die Grenzen fließend.
Es gebe sehr viel Spannungen, sagen sie ein halbes Jahr später. Vor allem jenseits der ruhigen Vororte der Gutbetuchten und der touristischen Attraktionen am Kap. Sie mieteten sich ein Auto, packten ihr Ausrüstung ein und fuhren durchs Land - dort, wohin mit den „Großen Trecks“ im 19. Jahrhundert Tausende Nachfahren der ersten holländischen Siedler gezogen waren.
Bäuml und Hass kamen in Orte wie Orania oder Petrusville und Provinzen wie Nordkap oder Free State. Sie waren auf abgelegenen Farmen alteingesessener weißer Großgrundbesitzer und in den Wellblechhütten heimischer Landarbeiter. Sie trafen schwarze Familien, die in Kolonial- und Apartheid-Zeit unterjocht wurden. Sie sahen die Angst weißer Farmer, heute ihr Land zu verlieren. Es geht um Recht und Unrecht, Vergangenheit und Gegenwart, Enteignung, Entschädigung und Wiedergutmachung.
Ein Priester führte sie in ein Township; ein weißer Farmer flog sie über seinen Besitz. Sie fotografierten in der riesigen Halbwüste Karoo, wo der Boden so karg ist, dass sich darauf allenfalls Schafe halten lassen. Sie porträtierten Menschen bei der Arbeit, in Kirchen und hitzigen Versammlungen in den Townhalls. Sie fuhren mit Farmern des Nachts auf deren Schutzpatrouillen über die Äcker. Sie sahen brennende Felder, traumhafte Landschaften und bizarre Bergketten.
Sie erlebten Einsätze von Abrisstruppen wie den „Red Ants“, die für private und öffentliche Auftraggeber die ärmlichen Hütten illegaler Landbesetzer niederreißen. Sie sahen, wie Propagandisten weißer und schwarzer Hautfarbe ihre Anhänger gegen die jeweils andere Bevölkerungsgruppe aufhetzten.
Genau 25 Jahre nach dem Ende des Apartheid-Regimes, nach der ersten demokratischen Wahl im April 1994 und nach dem damaligen Gewinn der absoluten Mehrheit durch den African National Congress (ANC) mit dem charismatischen Nelson Mandela an der Spitze, steht Südafrika im Mai dieses Jahres wieder vor einem richtungweisenden Urnengang. Im Frühjahr wird ein neues Parlament gewählt, und vieles dreht sich um die Frage: Wem gehört das Land?
In kaum einer Nation ist das Land so ungleich verteilt wie in Südafrika. Die Ursache liegt in der Geschichte. Bis heute nachwirkende Gesetze wie der Natives Land Act von 1913 hatten mehr als 80 Prozent des Landes für die weiße Minderheit reserviert. Millionen schwarze Südafrikaner waren in den zwanziger Jahren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und in Homelands zu ziehen.
Eine Reportage aus der „Frankfurter Allgemeine Woche“, dem Nachrichtenmagazin der F.A.Z.
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Der Unmut steigt rasch an.
Der amtierende Staatspräsident Cyril Ramaphosa, der seit gut einem Jahr auch Vorsitzender des ANC ist, nennt es eine „Ursünde“. Der ANC wollte die Lage der schwarzen Bevölkerung eigentlich längst verbessert haben. Er hatte schon Mitte der neunziger Jahre eine Umverteilung versprochen. 30 Prozent des fruchtbaren Ackerlandes sollten den Besitzer wechseln; bis heute aber sind es nur 10 Prozent - und die Wut unter jenen, deren Leben sich noch nicht verbessert hat, nimmt zu.
Daher legt der ANC nun nach. Er macht Wahlkampf mit dem Thema. So will er eine Änderung der Verfassung auf den Weg bringen, die die Enteignung von Landbesitzern ohne Entschädigung erleichtern soll. Dazu fanden im vergangenen Jahr unter der Bevölkerung im ganzen Land öffentliche Anhörungen statt. In denen melden sich weiße und auch schwarze Bürger zu Wort.
Viele weiße Farmer befürchten Zustände wie im Nachbarland Zimbabwe. Dort hatte die einstige Regierung weiße Farmer von den Höfen getrieben. Das stürzte das Land ins Chaos. Auch in Südafrika sind viele der Farmen, die in den vergangenen Jahren den Besitzer wechselten, schon heruntergewirtschaftet. Von den acht Millionen Hektar Land, die bislang neue Eigentümer haben, liegen nach Angaben des Wirtschaftsmagazins „The Economist“ 70 Prozent brach.
Daher experimentiert die Regierung nun mit verschiedenen Nutzungs- und Betreibermodellen, mit Pachtverträgen und genossenschaftlichen Beteiligungsgesellschaften. Eine Lösung ist längst nicht gefunden. Die Landreform spaltet die Nation. Von dem schönen Bild einer Rainbow-Nation, wie sie Nelson Mandela im Sinn gehabt hatte, ist man weit entfernt.
Text: CLAUDIA BRÖLL und STEPHAN FINSTERBUSCH
Quelle: F.A.Z. Woche
Veröffentlicht: 12.03.2019 17:42 Uhr
