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Studie : OECD: Die Deutschen müssen mehr arbeiten

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Die OECD fordert, dass vor allem Ältere und Frauen mehr zum Bruttoinlandsprodukt beitragen.

Die OECD fordert, dass vor allem Ältere und Frauen mehr zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Bild: dpa

In Europa gilt Deutschland als Musterland für gelungene Reformen. Nun aber gießt die OECD Wasser in den Wein. Sie sagt: Die Deutschen müssen mehr arbeiten, um ihren Lebensstandard zu halten.

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          Ohne Reformen droht Deutschland schon in wenigen Jahren der wirtschaftliche Abstieg, behauptet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einer am Dienstag veröffentlichten Studie. Bei normaler Auslastung der Produktionskapazitäten sei ab 2020 nur noch ein Wachstum von weniger als einem Prozent möglich. In der OECD - in der sich 34 Industriestaaten zusammengeschlossen haben - sei im Schnitt ein doppelt so hohes Plus erreichbar.

          Zur Gefahr werde vor allem der absehbare Mangel an Arbeitskräften. Um den Lebensstandard zu halten, müssten die Deutschen mehr arbeiten, empfiehlt die OECD. Von 2016 bis 2025 wird die Zahl der Erwerbsfähigen im Schnitt um 0,5 Prozent pro Jahr abnehmen, prognostizieren die Experten der in Paris ansässigen Organisation. Derzeit sei jeder zweite Deutsche zwischen 15 und 64 Jahre alt, 2035 werde es angeblich nur noch jeder vierte sein. „Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter schrumpft viel schneller als im Durchschnitt der OECD-Länder“, heißt es.

          „Deutschland sollte aufschließen“

          Deshalb müssten Ältere künftig länger in Beschäftigung gehalten werden. Zwar arbeiteten inzwischen 57 Prozent der 55- bis 64-Jährigen noch - im OECD-Schnitt sind es nur 54 Prozent. „Doch Deutschland sollte angesichts der Alterung seiner
          Gesellschaft versuchen, zu den besten Ländern aufzuschließen“, empfehlen die OECD-Ökonomen. „In Schweden, Norwegen und Neuseeland liegt die Beschäftigungsquote bei 70 Prozent.“

          Besonders häufig gehen Geringqualifizierte vorzeitig in den Ruhestand. „Eine Möglichkeit, diese Gruppe länger im Beruf zu halten, wäre der Umbau des Rentensystems“, schreibt die OECD. „Würde es so gestaltet, dass der Wert von Rentenpunkten bei Geringverdienern am Ende ihrer Berufslaufbahn steigt, könnte der Altersarmut vorgebeugt und gleichzeitig der Frühverrentung begegnet werden.“ Die Unternehmen wiederum müssten in die Qualifizierung Älterer mehr investieren.

          Frauen sollen häufiger arbeiten

          Wer älter als 58 ist, soll zudem nicht mehr für zwei Jahre Anspruch auf Arbeitslosengeld erhalten, was das vorzeitige Ausscheiden aus dem Berufsleben erleichtere. Die damalige große Koalition hatte die Bezugsdauer 2007 von 18 auf 24 Monate verlängert. Auch die in vielen Berufen mit dem Alter automatisch steigenden Löhne verhindern der OECD zufolge, mehr Ältere mit Jobs zu versorgen, weil sie vielen Unternehmen zu teuer seien. Die Entlohnung müsse sich daher stärker an der Leistung orientieren.

          Die Organisation empfiehlt außerdem, mehr Frauen in Lohn und Brot zu bringen. Sie arbeiten im Schnitt zehn Stunden pro Woche weniger als Männer. Eine Mitschuld daran trägt den Experten zufolge das Steuersystem. Es begünstige Familien mit nur einem Verdiener, der in der Regel der Ehemann sei. Durch die gemeinsame Steuerveranlagung von Ehepaaren zahle er einen geringeren Anteil seines Einkommens an den Fiskus als Doppelverdiener. Gleichzeitig könne er seine Ehefrau in der gesetzlichen Krankenversicherung kostenlos absichern. Das erkläre auch, warum zwei Drittel der Mini-Jobber Frauen sind. Geringfügig Beschäftigte mit einem Einkommen unter 400 Euro müssen keine Beiträge zur Krankenversicherung zahlen.

          Kritik am Betreuungsgeld

          Fehlende Kindertagesstätten wiederum hinderten Mütter daran, in den Beruf zurückzukehren. Nur für 18 Prozent der Kinder bis zwei Jahre stehe ein Betreuungsplatz zur Verfügung. Der OECD-Schnitt liege etwa doppelt so hoch. Das von der CSU durchgesetzte Betreuungsgeld - das ab 2013 Eltern erhalten, die ihre Kinder nicht in eine Kita schicken - sei deshalb kontraproduktiv. „Die Regierung sollte das Geld stattdessen dafür ausgeben, qualitativ hochwertige Kinderbetreuungsplätze zu schaffen“, raten die Experten. Auch die Betreuungsmöglichkeiten für ältere Kinder und Schüler sei vergleichsweise schlecht und zwinge viele Mütter zur Teilzeitarbeit.

          Angesichts des drohenden Fachkräftemangels plädiert die OECD auch dafür, die Einwanderung zu fördern. Deutschland ziehe weniger Hochqualifizierte an als andere Industriestaaten. Als erster Schritt sollte die Einkommenshürde für Nicht-EU-Ausländer gesenkt werden. Diese dürfen sich bislang nur dann in der Bundesrepublik niederlassen, wenn sie mindestens 66.000 Euro im Jahr verdienen. Die Einwanderung solle zudem durch ein Punktesystem gesteuert werden, empfiehlt die OECD.

          Nicht genug

          Für das laufende Jahr rechnet die Organisation mit einem Wachstum von 0,4 Prozent in Deutschland. 2013 werde das Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich um 1,9 Prozent zulegen. Trotz aller Kritik lobte die Organisation die „herausragende Wirtschaftsleistung“ der vergangenen Jahre. Einzig: Es müsse eben noch deutlich mehr getan werden.

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