Streit um Erntehelfer : Revolte auf dem Spargelhof
- -Aktualisiert am
Bei der Spargelernte ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Bild: Schulz, Samira
Wegen Corona durften viele Erntehelfer aus Rumänien und Polen nicht einreisen. Dabei wird ihre Arbeitskraft dringend gebraucht. Das wissen viele zu nutzen.
Als Mitte April endlich die ersten Rumänen eingeflogen wurden, war die Erleichterung bei Anja Hamm groß. Zusammen mit ihrem Mann Gerald und dessen Onkel betreibt sie einen Spargelhof in der Nähe von Darmstadt. In normalen Jahren arbeiten fast 100 osteuropäische Erntehelfer auf den Spargel-, Erdbeer- und Kartoffelfeldern der Hamms. Dieses Jahr durften sie wegen Corona zunächst nicht einreisen. Anja Hamm griff auf deutsche Erntehelfer zurück, die sich zwar redlich Mühe gaben, aber längst nicht so fix mit dem Spargelmesser umzugehen wussten. Dann kamen die ersten Rumänen, die geernteten Spargelmengen wuchsen, auch erste Erdbeeren wurden geerntet. Drei Wochen ging alles gut.
„Aber jetzt haben wir den Schlamassel“, klagt die 34-jährige Bäuerin. Kurz nach dem Ende der gesetzlich vorgeschriebenen Quarantäne begannen nach ihrer Schilderung einige der Saisonarbeiter, Anweisungen zu missachten: Sie ernteten grüne Erdbeeren. Doch die verkaufen sich nicht und reifen auch nicht nach. Ein wirtschaftlicher Verlust für den Hof. Darüber entbrannte Streit – unter den Erntehelfern und zwischen Erntehelfern und der Hof-Familie. „Es sind Beleidigungen gefallen, die man gerne zurücknehmen würde“, sagt Hamm. Zu spät. Die aufmüpfigen Erntehelfer drohen einem ihrer Kollegen, der sich an der Revolte nicht beteiligen wollte, er werde seine Familie in Rumänien im Rollstuhl vorfinden, wenn er heimkehre.
Die Marktmacht liegt bei den Erntehelfern
Einen Tag später steht der Bus eines Spargelbauern aus Thüringen im Hof. Acht rumänische Helfer verlassen Familie Hamm im Streit. Acht schnelle Helfer weniger für den Betrieb – und das in einer Zeit, in der auch noch viele der zwischenzeitlich angelernten deutschen Helfer in ihre richtigen Jobs zurückkehren, die Ernte aber längst noch nicht geschafft ist. „Einerseits bin ich froh, dass die Querulanten vom Hof sind“, gibt die Bäuerin zu. Andererseits brauchte sie gerade mehr denn je jede helfende Hand.
War es ein Zufall, dass der Bus des thüringischen Konkurrenten punktgenau vorfuhr? Die Vermutung liegt nahe, dass die Helfer mit höheren Löhnen oder geringeren Abzügen für Unterkunft und Verpflegung gelockt wurden und deshalb den Streit vom Zaun gebrochen haben. Das sorgt bei den anderen Rumänen auf dem Hof für Unmut. Die meisten von ihnen sagen, dass sie gerne hier arbeiten. Die Bedingungen seien besser als auf vielen anderen Höfen. Es gibt den Mindestlohn, klar. Und Unterkunft und Verpflegung kosten etwas. Aber die Arbeitsbedingungen seien transparent, die Verträge fair. „Einige der Helfer kommen seit fast 30 Jahren zu uns“, berichtet Anja Hamm.
Doch dieses Jahr hat sich die Machtverteilung zugunsten der Saisonarbeiter verlagert. Sie sind ein „knappes Gut“ auf dem Arbeitsmarkt. Ihr Preis steigt. Bauern, die mehr Lohn bezahlen können, versuchen, anderen Höfen die Helfer abspenstig zu machen. Immer wieder mit Erfolg, wie das Beispiel aus Darmstadt zeigt. Zurück bleiben Frust und Misstrauen – und Spargel, der nicht geerntet wird. Eine üble Kombination im ohnehin schwierigen Erntejahr 2020.