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Tarifkonflikte in Deutschland : Darum streiken die Lokführer wirklich

Wer streikt heute noch? Bild: Picture-Alliance

Lokführer, Müllwerker, Erzieher: Seit einigen Jahren streiken nur noch Berufsgruppen, die uns im Alltag hart treffen. Das hat auch mit der Globalisierung zu tun.

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          Noch fast 100 Stunden Bahnstreik liegen vor Deutschland, es ist der längste Lokführer-Ausstand aller Zeiten - und doch nicht der längste Streik, den Deutschland je gesehen hat. 114 Tage dauerte ein Streik im Jahr 1956, als zehntausende Metallarbeiter in den Ausstand traten. Damals waren die Deutschen nicht so sauer. Heute streiken die Lokführer vier Tage lang, und alle regen sich auf.

          Patrick Bernau
          Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und „Wert“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Wer sich die Streikgeschichte der vergangenen Jahre vergegenwärtigt, der merkt schnell: In Deutschland streiken fast nur noch die Leute, die mit ihren Streiks die Deutschen direkt treffen. Würden die Metallarbeiter heute noch mal streiken, im täglichen Leben würde das keiner bemerken. Stahlkonzerne könnten nicht liefern, Maschinen würden später fertig, vielleicht ließe das eine oder andere Auto auf sich warten - das könnten die Deutschen eher verkraften. Aber die Metallarbeiter legen ihre Arbeit kaum noch nieder. „Kampfgehärtete Bataillone gibt es nicht mehr“, sagt der Soziologe Wolfgang Streeck in der F.A.S. Stattdessen streiken: die Piloten, die Erzieher, die Leute von der Müllabfuhr. Weil sie's können.

          Die Metallarbeiter zeigen das ganz wunderbar. Wenn ein neues Auto ein paar Wochen später kommt, das fällt niemandem auf. Autos werden sowieso gelagert und geliefert. Wenn sich das Autolager eine Weile lang leert, ist das für die Kunden nicht weiter wild. Und wenn die Lieferzeit von sechs Wochen auf sechseinhalb wächst - das macht den wenigsten Käufern große Probleme.

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          Eben deshalb legen die Metallarbeiter heute so selten ihre Arbeit nieder. Die Globalisierung hat sie ihre Macht gekostet. Heute wissen die Metallarbeiter genau: Die Konkurrenz ist nicht weit weg. Ihre Waren lassen sich liefern und verschicken. Selbst wenn Gewerkschaften ein Unternehmen lahmlegen, können die Verbraucher schneller als früher auf einen anderen Lieferanten aus einem anderen Land ausweichen.

          Das müssen sogar die Arbeiter bei Amazon feststellen. Seit Monaten ruft die Gewerkschaft Verdi bei Amazon zum Streik auf. Im Öffentlichen Dienst kann Verdi die Kitas und die U-Bahnen stoppen. Bei Amazon schafft Verdi es kaum, dass ein Paket einen Tag später geliefert wird. Es beteiligen sich zu wenige Mitarbeiter. Denn sie haben kaum Macht. Sie wissen: Wenn sie nicht arbeiten, schaden sie eher sich selbst als dem Unternehmen. Amazon jedenfalls bereitet sich schon darauf vor, zur Not aus Polen nach Deutschland zu liefern.

          Solche Fotos entstanden zu Hochzeiten der Arbeitskämpfe - hier bei einer Demonstration im Jahr 1982. Bilderstrecke
          Solche Fotos entstanden zu Hochzeiten der Arbeitskämpfe - hier bei einer Demonstration im Jahr 1982. :

          Andere haben es besser. Die Piloten zum Beispiel. Nicht alle Lufthansa-Flüge lassen sich leicht gegen Flüge mit anderen Fluggesellschaften tauschen. Die Arbeit von Erziehern kann keiner in China bestellen. Und je monopolistischer die Unternehmen werden, desto mehr Streiks können sich die Arbeitnehmer leisten.

          Die Erzieher, die Müllmänner und die Lokführer: Sie sind die neuen Mächtigen. Über sie wird sich Deutschland noch ärgern.

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