Unternehmensstrafrecht : Die Angst vor amerikanischen Verhältnissen
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Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) Bild: dpa
Der Bundestag nimmt sich ein Strafrecht für Unternehmen vor. Skandale à la Diesel oder Cum-Ex kosten dann Milliarden statt Millionen.
Daimler hat viele seiner Aktionäre in der vergangenen Woche überrascht: 2,2 Milliarden Dollar legt der Stuttgarter Automobilkonzern in den Vereinigten Staaten auf den Tisch, um seine juristischen Streitigkeiten im Abgasskandal mit amerikanischen Behörden und Sammelklägern beizulegen. Daimler geht damit in die Offensive, um für Rechtssicherheit in den Diesel-Verfahren zu sorgen. Denn jeder weiß: In Amerika drohen Unternehmen hohe Strafen bei Fehlverhalten ihrer Manager, hierzulande kommen sie bislang meist glimpflicher davon. Das könnte sich künftig aber ändern.
Der Bundestag wird sich wohl schon im September mit dem von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf für ein Unternehmensstrafrecht beschäftigen – offiziell bezeichnet als Gesetz zur „Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“. Mit dem Vorhaben will Lambrecht Unternehmen bei Skandalen stärker zur Verantwortung ziehen.
Der Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium sieht vor, dass die Obergrenzen für Geldbußen bei strafbarem Verhalten von Mitarbeitern drastisch erhöht werden: Künftig orientiert sich die Höchstgrenze im Fall von Vorsatztaten bei 10 Prozent des Jahresumsatzes, bei Fahrlässigkeit kann die Strafe bis zu 5 Prozent betragen, auch wenn die Tat im Ausland begangen worden ist. Nur wer selbst Compliance-Maßnahmen fördert und bei der Aufklärung der Straftaten hilft, kann mit einem Nachlass rechnen.
„Monumentale Veränderung“
In den Rechtsabteilungen großer Unternehmen sorgt der Vorstoß für Unruhe. Eine bislang unveröffentlichte Studie der Boston Consulting Group (BCG), die der F.A.Z. vorliegt, hat sich mit den bisher ausgesprochenen Strafen für Unternehmen und möglichen Folgen einer Gesetzesänderung näher befasst. Tenor: „Es ist eine monumentale Veränderung im Umgang mit Unternehmensdelikten, die mit dem Gesetz einhergeht“, schreiben die Autoren.
Mit dem geplanten Gesetz könnten sich die bisherigen Maximalstrafen auf einen bis zu zwanzigfachen Betrag addieren, heißt es in dem BCG-Papier. Die Autoren haben dafür die in den vergangenen 15 Jahren in Deutschland verhängten Unternehmensbußgelder nach dem Ordnungswidrigkeitsgesetz unter die Lupe genommen. Bislang wurden hierzulande im Schnitt jährlich Geldbußen in Höhe von 336 Millionen Dollar (282 Millionen Euro) verhängt. Künftig dürfte es deutlich teurer werden – wenn man die Strafen am künftigen Haftungsmaßstab ausrichtet. Gemessen an ihren erzielten globalen Umsätzen müssten dieselben Unternehmen für ihre Verstöße mit Geldbußen von bis zu 6,8 Milliarden Dollar (5,7 Milliarden Euro) rechnen.
Zur Einordnung: Daimler musste wegen der Verletzung der Aufsichtspflicht hierzulande in der Diesel-Affäre ein Bußgeld von 870 Millionen Euro zahlen. Im Fall von Volkswagen war es eine Milliarde Euro. Volkswagen etwa erwirtschaftete auch mit seinen Dieselmotoren im Jahr 2015, als die Abgasmanipulationen bekanntwurden, auf der ganzen Welt 213 Milliarden Euro. Nach dem künftigen Recht müsste der Automobilhersteller also nach den Zahlen von BCG allein in Deutschland mit bis zu 21 Milliarden Euro Geldbuße rechnen. Zudem müsse man davon ausgehen, dass die Strafverfolgungsbehörden zusätzlich zu den Geldstrafen auch die Einziehung von unrechtmäßig erzielten Gewinnen verlangen könnten, heißt es in dem Papier.
In anderen Ländern schon etabliert
Die Studienautoren haben auch analysiert, in welchen Branchen rund um die Welt in den vergangenen zehn Jahren die meisten Geldstrafen gezahlt werden mussten. Dafür haben sie die von Aufsichts- und Regulierungsbehörden ausgesprochenen Bußgelder analysiert. Fast drei Viertel aller Compliance- und Strafzahlungen entfallen demnach auf die Finanzindustrie; dies lässt sich durch die Aufarbeitung der globalen Finanzkrise im vergangenen Jahrzehnt, die Aufdeckung von Absprachen unter Großbanken, etwa zu Referenzzinssätzen, und eine generell schärfere Sanktionierungspraxis durch die Behörden erklären. Danach folgt mit deutlichem Abstand die Automobilindustrie (8 Prozent). Sie befindet sich seit Bekanntwerden des Abgasbetrugs von Volkswagen im Herbst 2015 in einer bis heute nicht abgeschlossenen zivil- und strafrechtlichen Aufarbeitung.