Stille Großunternehmer : Immer diese Reimanns
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In einem Bürgerhaus nahe der Wiener Votivkirche sind die Firmenbeteiligungen der Reimanns geparkt Bild: Godany, Jacqueline
Sie sind eine der reichsten und verschwiegensten Familien in Deutschland. Ihre Mitglieder fahren nicht Porsche, sondern stehen lieber im Labor. Jetzt mischen die Reimanns aus der Pfalz die Wirtschaftswelt auf.
Acht Milliarden Euro ist die Familie aus der Kurpfalz schwer. Aber Luxus? Ist ihr ein Graus. Preisklasse „gut situierter Zahnarzt“ - darunter fielen die Häuser der Reimanns. Heißt es bei jenen, die sie zu kennen glauben.
Gerade haben die Reimanns für eine Milliarde Dollar eine Kaffeehauskette aus Kalifornien gekauft: Peet’s Coffee, die edlere Variante von Starbucks. Vergangenes Jahr erwarb die Familie den Luxusschuhhersteller Jimmy Choo, einen Stern am Modehimmel. Aber High Society? Dinnerpartys in Mailand und Paris? Langweilen die Reimanns. Raunen jene, die es wissen wollen. Und fügen an: Die Reimanns stünden lieber im Labor - an promovierten Chemikern mangelt es in der Milliardärsfamilie tatsächlich nicht.
Keine Interviews von Familie Reimann
An Legenden auch nicht. Glaube, Gerüchte, Geheimnisse: Familie Reimann, früher wohnhaft in Mannheim, Heidelberg und Umgebung, ist nach der von Aldi-Gründer Karl Albrecht Deutschlands undurchsichtigste Milliardärssippe: Keine andere Dynastie ist in der Öffentlichkeit so unbekannt wie die Nachkommen des Chemiefabrik-Gründers Ludwig Reimann aus Mannheim, dessen Marken Calgon, Sagrotan und Clearasil hingegen jedes Kind des Werbefernsehens kennt. Fotos der einzelnen Mitglieder sind so gut wie nicht existent, von Äußerungen oder gar Interviews ganz zu schweigen.
Bis vor kurzem war sogar reines Insiderwissen, dass die vier noch verbliebenen Gesellschafterfamilien der Familienholding Joh. A. Benckiser gar nicht mehr in der Kurpfalz leben, sondern längst in Steuerparadiese umgezogen sind. Der Sitz der Finanzholding Joh. A. Benckiser, der Kommandozentrale des Reimannschen Firmenreichs, ist auch nicht mehr in Deutschland beheimatet, sondern in Luxemburg. In Wien, in einem schönen österreichischen Bürgerhaus am Rooseveltplatz direkt neben der Votivkirche, haben die Reimanns für sich und ihre Kinder die Anteile an ihren Unternehmungen in zwei Gesellschaften geparkt.
Und da ist einiges, was die Familie so alles hält: zunächst der Elf-Prozent-Anteil am unternehmerischen Ursprung der Reimanns, dem Reinigungsmittelhersteller Reckitt Benckiser, der seinen Anfang 1883 in einer Salmiakhütte in Pforzheim hat. Heute ist er ein englischer Weltkonzern mit zehn Milliarden englischen Pfund Umsatz, der an der Londoner Börse notiert ist - die Marke Kukident etwa gehört dazu. Da ist der Parfümhersteller Coty aus New York, der von Adidas über Davidoff und Joop bis Jennifer Lopez jedes zweite Duftwässerchen vertreibt, das in den Läden zu finden ist. Er spült im Jahr an die drei Milliarden Euro Umsatz in die Konzernkassen. Das Reimann-Startup namens Labelux hat neben den Edeltretern Jimmy Choo auch die schweizerischen Bally-Schuhe im Portfolio, nebst dem italienischen Lederwarenhersteller Zagliani, dessen Handtaschen nur im Schlussverkauf für 2500 Euro zu haben sind, sonst wird’s deutlich teurer.
Übernahme des Kosmetikriesen Avon scheiterte
Geführt werden die Beteiligungen von familienfremden Managern, die der Familie vierteljährlich Bericht erstatten, an unbekanntem Ort. Die Heimlichtuerei wäre der Familie gutes Recht, stünde nicht das Aufsehen, das ihre aggressive Expansion erregt, im kompletten Gegensatz zur an Paranoia grenzenden Furcht vor der Öffentlichkeit.
Nicht erst seit dem ebenso spektakulären wie teuren Kauf des Starbucks-Konkurrenten Peet’s will neben Deutschland auch Amerikas Wall Street wissen, wer diese Reimanns vom alten Kontinent sind, die in jüngster Zeit wieder und wieder die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse beherrschten: Schickte sich die Familie doch bereits im vergangenen Herbst an, den wie Coty in New York beheimateten Kosmetikriesen Avon zu übernehmen, einen Konzern zweieinhalbmal so groß wie sein Angreifer. Der Deal scheiterte schließlich am erbitterten Widerstand des Avon-Managements.
Fast alle Familienmitglieder sind Chemieexperten
Ein Rückschlag, der die Experimentierfreude der Chemikerfamilie Reimann zusätzlich noch beflügelt hat. Wie Urahn Ludwig Reimann, der mit seinem Geschäftspartner Johann Adam Benckiser in Ludwigshafen eine Chemiefabrik gründete und allerhand Phosphorsäure und anderes Gebräu zusammenmischte, versucht sich die neue Reimann-Generation des 21. Jahrhunderts geschäftlich mal bei diesem und jenem, stets auf der Suche nach dem großen Wurf.
Fast sämtliche Mitglieder der Familie sind über chemikalische Fragen und Formeln promoviert, haben an Max-Planck-Instituten und ähnlich renommierten Adressen geforscht. Und was sie bisher an erfolgreichen Investments zusammengemixt haben, kann sich sehen lassen. Denn was Albert Reimann, Urenkel von Ludwig bei seinem Tod im Jahr 1984 der Familie an Chemiefabriken hinterließ, hat wenig mit den glänzenden Waren der heutigen Reimann-Dynastie gemein. Von seiner Ehefrau Paula hatte Albert keine Kinder bekommen können, adoptierte der Erzählung nach neun Nachkommen von Leihmüttern und von Schwester Else Dubbers, denen er das Erbe vermachte.
Geld gilt es zu vermehren - aus unternehmerischer Verpflichtung
Nachdem Reckitt Benckiser an die Börse gegangen war, ließen sich die vier Dubbers-Kinder auszahlen, Günter Reimann-Dubbers ist heute Privatbankier und engagierter Mäzen an der Uni-Klinik Heidelberg und in Bildungsprojekten. Auch Andrea Reimann-Ciardelli hat den Gesellschafterkreis verlassen und lebt als Wissenschaftlerin an der amerikanischen Ostküste nahe der Eliteuniversität Dartmouth. Den harten Kern der Gesellschafter bilden heute Renate Reimann-Haas, 60, Holdingsprecher Wolfgang Reimann, 59, sowie die Cousins Matthias, 47, und Stefan Reimann-Andersen, 49, begeisterte wie erfolgreiche Fechter und wie ihre Halbgeschwister ebenfalls promoviert und mit Veröffentlichungen in der Wissenschaftswelt präsent.
Geld, das wissen die Reimanns seit Kindertagen, gilt es zu vermehren - nicht aus Habgier, sondern aus unternehmerischer Verpflichtung. Seit der gescheiterten Übernahme des Kosmetikkonzerns Avon verfügen die Reimanns über reichlich ungenutztes Kapital auf den Konten, mit dem sich noch allerhand erwerben lässt.
Doch irgendwann wird dann wohl die Verpflichtung zum Problem, die jedes Reimann-Mitglied eingegangen ist: Kein Wort über die Familie.