Insektensterben : Professor schimpft gegen Öko-Hysterie
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Bedroht? Eine Schwebfliege hat sich in Frankfurt auf einer Wiese im Stadtteil Bergen-Enkheim auf einer Blüte niedergelassen. Bild: dpa
Eine Studie über drastisches Insektensterben sorgte in den vergangenen Wochen für viel Aufregung. Jetzt teilt Statistiker Walter Krämer kräftig gegen die Macher aus – und schießt damit über das Ziel hinaus.
Die Studie diverser Ökologen und Statistiker, die im Journal „Plos One“ einen Rückgang der Fluginsektenmasse in deutschen Schutzgebieten seit 1989 von rund 75 Prozent anzeigt, hat schnell viele interessierte Kritiker gefunden: Chemieunternehmen, Bauernverbände, Blogger. Sie alle stützten sich dabei auch auf eine wissenschaftliche Autorität – den Dortmunder Statistikprofessor Walter Krämer. Er hatte für das Wirtschaftsforschungsinstitut RWI in Essen – das über wenig agrarökologische Expertise verfügt – die Insektenstudie zur „Unstatistik des Monats“ ausgerufen.
Krämer bemängelte nicht nur die Tatsache, dass die Forscher über 29 Jahre längst nicht jährlich an denselben Orten die Insektenfallen aufstellten – was auch in der Studie ausführlich diskutiert wird, woraufhin hier eine Methode zur Datenauswertung verwendet wird, die für lückenhafte Datensätze als geeignet erscheint. Krämer aber holte viel weiter aus. In Interviews unterstellte er den Medien pauschal Unkenntnis und Hysterie. Er sagte etwa: „Wie Junkies stürzen sich die Medien auf jeden Schrott, wenn er nur ihrer Sucht nach Bestätigung eines vorgefassten Weltbilds entgegenkommt.“ Er kenne „keinen Journalisten, der weiß, was [statistisch] signifikant“ bedeute (ein Standardlehrinhalt einführender Statistikvorlesungen). Gar seien alle empirischen Wissenschaften „oft“ Scharlatanerie, die Regressionsmodelle verwendeten und von „statistischer Signifikanz ... schwafeln“.
Das Journal „Plos“ sei nicht renommiert, die Wissenschaft der „rot-grünen Panikmacherszene“ produziere Schrott. Er fühle sich erinnert an das „Waldsterben der Neunziger“. Diese Ausführungen verraten, aus welcher Perspektive Krämer im Namen des – darüber recht unglücklichen, wie zu hören ist – RWI die „Insektenstudie“ bemängelt: erstens aus einer wissenschaftstheoretischen und zweitens aus einer erfahrungsbasiert skeptischen gegenüber allen Publikationen, die der Ökobewegung willkommen scheinen.
Der angesehene Statistiker Krämer begeht damit aber denselben Fehler, wie er ihn seinen Kritikern unterstellen würde: Er generalisiert seine bisherigen, in mehreren Büchern dokumentierten Erfahrungen („Hysterie“). Tatsächlich entspricht die Studie aus „Plos“ anerkannten Statistikstandards, und es gibt eine Fülle empirischer Studien mit ähnlichen Befunden. Krämer, der die Statistikmethode anzweifelt, sagt im Gespräch mit der F.A.Z. zum Insektensterben, er „habe auch den Eindruck, dass die These durchaus stimmen könnte. Es kann sogar sein, dass das jetzt die Spitze eines Eisbergs ist und das Ausmaß in Wahrheit viel größer.“