Spanien : Barcelona will Europas Silicon Valley werden
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Barcelona Bild: dapd
Das einst reiche Katalonien leidet unter der hohen Arbeitslosigkeit. Nun hofft die spanische Region auf die IT-Branche.
Die Bilder aus dem Fernsehen haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen: Zehntausende junge Leute gehen in den spanischen Städten auf die Straße, um auf die wirtschaftliche Misere in dem südeuropäischen Land aufmerksam zu machen. Die Arbeitslosenquote der jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren beträgt mehr als 50 Prozent. Damit belegt Spanien in Europa einen traurigen Spitzenrang. Von der wirtschaftlichen Not sind alle Regionen betroffen - auch das einst reiche Katalonien, das gleichfalls finanzielle Unterstützung von der Zentralregierung in Madrid beantragt hat.
Zu den jungen Leuten, die Arbeit haben, gehört Jordi Martínez. Der 25 Jahre alte Akademiker arbeitet als technischer Analyst bei dem deutschen Unternehmen GFT Technologies AG. Der in Stuttgart ansässige IT-Dienstleister befasst sich mit Finanzsoftware. „Die jungen Menschen, die einen technischen Studiengang absolviert haben, finden leichter eine Stelle“, sagt Martínez. Die Statistik scheint ihm recht zu geben, besonders wenn es um den IT-Bereich geht. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Informatikern beträgt in Spanien nur 7 Prozent, über alle Branchen hinweg sind es mehr als 50 Prozent. Martínez will auch nicht sein Heimatland verlassen, um sein Glück im Ausland zu suchen. Der GFT-Vorstandsvorsitzende Ulrich Dietz setzt auf die spanischen IT-Fachkräfte. Der börsennotierte Mittelständler ist schon seit 2001 in Spanien vertreten. Damals übernahm das schwäbische Unternehmen das dortige Entwicklungszentrum von der Deutschen Bank. Ein für die damalige Zeit ungewöhnlicher Schritt, weil viele Unternehmen in Sachen Informationstechnologie auf Osteuropa oder Indien setzten. In Spanien gibt es inzwischen vier weitere GFT-Standorte. Zwei Drittel der etwa 1300 GFT-Mitarbeiter in aller Welt arbeiten in dem Land am Mittelmeer.
„Wir wollen uns als erste mobile Welthauptstadt etablieren“
“Das Land hat langfristig eine hervorragende Zukunft“, sagt Dietz. Er sieht die momentane Krise als Übergangsphase. Der Vorstandsvorsitzende ist gleichfalls optimistisch für die Region Katalonien. „Katalonien ist für mich das Silicon Valley von Europa“, sagt er und verweist beispielsweise auf die 13 Universitäten in Barcelona, die gute Fachkräfte im Bereich der Kommunikations- und Informationstechnologie ausbildeten. Ein weiterer Pluspunkt sind für ihn die deutlich geringeren Lohnkosten. Nach Angaben des Barcelona Digital Technology Centre (BDTC) verdient zum Beispiel ein IT-Projektmanager in Spanien etwa 42 000 Euro im Jahr. In Deutschland seien es hingegen im Durchschnitt etwa 58 000 Euro. Die Gehälter seien rund ein Drittel niedriger, erklärt Dietz.
GFT teilt sich das Gebäude in der Nähe der katalonischen Millionen-Metropole mit dem amerikanischen Computerriesen Hewlett-Packard. Dort hat GFT auch eine Software für Überweisung mit Hilfe des Smartphones entwickelt. Mit der Kamera ihres Mobiltelefons können private Kontoinhaber klassische, vorgedruckte Überweisungsträger digitalisieren, von einer Texterkennungssoftware auslesen und vollautomatisch vom Bankserver weiterverarbeiten lassen. Damit wird der Gang in die Filiale oder das eigenhändige Ausfüllen von Online-Banking-Formularen überflüssig. Die Deutsche Bank werde die Software einsetzen, behauptet Dietz und ist sich sicher: „Das wird einen Großteil des Online-Bankings ablösen.“
Katalonien und vor allem der Großraum Barcelona setzen auf den Ausbau von Informations- und Kommunikationstechnologie. Die gesamte Branche habe in Spanien im vergangenen Jahr einen Umsatz von knapp 18 Milliarden Euro erzielt, wie Patricia Remiro vom BDTC berichtet. In den vergangenen beiden Jahren seien rund 5000 neue Stellen in dem Bereich in Katalonien geschaffen worden. Diese Zahlen zeigten die Bedeutung der neuen Technologien für das Wirtschaftswachstum der Region. Katalonien setzt dabei vor allem auf die mobilen Anwendungen. Denn immer im Februar strömen die Massen zur weltweit größten Mobilfunkmesse Mobile World Capital nach Barcelona. Erst im vergangenen Jahr bekamen die Macher den Zuschlag, das Ereignis weiter bis 2018 ausrichten zu dürfen, wie der Geschäftsführer der MWC Barcelona Gines Alarcon berichtet. Der Bereich mobile Anwendungen sei noch eine größere Welle als die einst durch das Internet ausgelöste. „Wir wollen uns als erste mobile Welthauptstadt etablieren“, sagt er. Die Messe steht dabei aber nicht an erster Stelle. So ist seinen Angaben zufolge ein Mobile World Festival mit Filmen oder Konzerten geplant. Der Clou dabei: Es sollen Filme gezeigt werden, die mit mobilen Endgeräten wie Smartphone oder auch dem iPad produziert worden sind. „Das Ganze soll dann weltweit übertragen werden. Aber nicht im Fernsehen, sondern wiederum auf mobile Endgeräte“, sagt der Geschäftsführer. Gleichfalls sei auch eine Dauerausstellung geplant. Sie soll die neuesten Trends im Bereich der Technik und mobilen Endgeräte zeigen.
Die katalonische Wirtschaftsförderung trommelt mächtig für den Standort in Spanien. Ziel ist es, zusätzliche Unternehmen hier anzusiedeln, die mobile Anwendungen entwickeln. „Wir wollen einen neuen industriellen Sektor schaffen“, sagt Alarcon. Erste Vorzeigeerfolge gibt es: Der niederländische Chiphersteller NXP oder auch der bayerische Sportartikelhersteller Adidas haben angekündigt, IT-Entwicklungszentren vor Ort aufzubauen. GFT-Vorstandsvorsitzender Dietz hört die Pläne mit Freude und spricht von einer „glücklichen Entwicklung“. Das Unternehmen nutzt den Standort Spanien dafür, um seine Aktivitäten in Nord- und Südamerika auszubauen. Dietz schätzt, dass Spanien bis zu zehn Jahre braucht, um seine Krise zu überwinden. Es werden sicherlich immer mal wieder die Menschen auf die Straße gehen, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Der junge IT-Fachmann Jordi Martínez sieht sich selbst nicht als Betroffener der „Generation hopeless“. „Generation hopefull“ sei eher der passende Ausdruck, findet sein Arbeitgeber Dietz.