https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/soeder-kann-die-impfpflicht-laut-arbeitsrechtlern-nicht-aussetzen-17792251.html

Arbeitsrechtler : „Söder kann die Impfpflicht nicht aussetzen“

Markus Söder Bild: Sven Simon

Arbeitsrechtler halten die Pläne des bayerischen Ministerpräsidenten zur Aussetzung der Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen für nicht haltbar: „Ein Gesetz, das nicht angewendet werden soll, hätte man nicht erlassen“, sagt Gregor Thüsing.

          3 Min.

          Die aktuellen Pläne des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Markus Söder zur Aussetzung der Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen irritieren Arbeitsrechtler. „Söder kann die Gesetzesbestimmungen zur einrichtungsbezogenen Impflicht nicht aussetzen oder Übergangsfristen anordnen“, sagte die Gießener Professorin für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht, Lena Rudkowski, der F.A.Z.

          Katja Gelinsky
          Wirtschaftskorrespondentin in Berlin

          Auch in Bayern bleibe es bei der Verpflichtung von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, von ihren Beschäftigten einen Impf- oder Genesenen-Nachweis oder ein ärztliches Zeugnis über eine medizinische Indikation gegen eine Impfung zu verlangen. Gregor Thüsing, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht an der Universität Bonn, ergänzte auf Anfrage, „bei der Weigerung der bayerischen Staatsregierung, das Gesetz zu vollziehen, bleiben auch Einrichtungen in Bayern verpflichtet, Meldungen an die Gesundheitsämter zu machen.“ Die entsprechenden Anpassungen im Infektionsschutzgesetz, die der Gesetzgeber im Dezember 2021 beschlossen hatte, sollen vom 15. März an gelten.

          Für die Gesundheitsämter würde das Vorhaben Söders, die Impfpflicht auszusetzen, nach Auskunft der beiden Rechtswissenschaftler zu erheblichen rechtlichen Unsicherheiten führen. Womöglich könne man es so sehen, dass die Ämter dann großzügige Fristen für Nachimpfungen setzen könnten, sagte Rudkowski. „Aber wenn das Gesundheitsamt sehenden Auges auf Reaktionsmöglichkeiten verzichtet, die rechtlich vorgesehen und angemessen gewesen wären, ja vielleicht zwingend erforderlich, dann handelt auch die Aufsicht rechtswidrig“, gab Thüsing zu bedenken. „Ein Gesetz, das nicht angewendet werden soll, hätte man nicht erlassen.“

          Gregor Thüsing
          Gregor Thüsing : Bild: privat

          Auch die Gewerkschaften haben sich in der Debatte zu Wort gemeldet. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, kündigte am Mittwoch an, wenn nicht alle arbeitsrechtlichen Fragen geklärt würden, werde der DGB den Vollzug der einrichtungsbezogenen Impflicht nicht unterstützen. Zudem bewegt den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband die Frage, ob Beschäftigte, die bereits vor dem 15. März 2022 in Einrichtungen tätig waren und der Leitung bis dahin keinen Nachweis vorlegen, über diesen Zeitpunkt hinaus weiter arbeiten dürfen, jedenfalls bis zu einem Verbot durch das Gesundheitsamt. Der Gesetzgeber gibt darauf keine explizite Antwort.

          Man könne es so sehen, dass schon der Arbeitgeber selbst die Möglichkeit haben sollte, ein Beschäftigungsverbot auszusprechen, sagte Rudkowski. Einrichtungen, die so vorgingen, bewegten sich aber auf juristisch unsicherem Terrain. Das sieht auch Thüsing so. „Die Feststellung, wer den Nachweis nicht erbringe, könne nicht tätig werden, wäre zu kurz gefasst.“

          Angst vor Personalknappheit in Pflegeheimen

          Der Gesetzgeber habe die Entscheidung über ein Beschäftigungsverbot bewusst in die Hände der Gesundheitsämter gelegt. Er habe damit Spielräume offenhalten wollen, etwa für den Fall, dass es zu Engpässen bei der Lieferung von Impfstoffen komme. Auch der Pflegenotstand in einzelnen Heimen könne ein Grund für differenzierte Reaktionen der Gesundheitsämter sein. Solche Einzelfallentscheidungen, so betonte Thüsing mit Blick auf die Pläne Söders, seien „aber etwas anderes als ein angekündigter Rechtsbruch“.

          Politischen Widerstand gegen den Vollzug der einrichtungsbezogenen Impfpficht gibt es auch wegen der Sorge, es könne zu zahlreichen Kündigungen Impfunwilliger und damit zu mehr Personalknappheit in Pflegeheimen kommen. Allein die Entscheidung einer Pflegekraft, sich nicht impfen zu lassen, rechtfertigt laut Rudkowski aber nicht automatisch eine Kündigung. Selbst dann nicht, wenn das Gesundheitsamt ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen hat. Denn auch im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

          Danach muß der Arbeitgeber mildere Mittel als eine Kündigung in Betracht ziehen und beispielsweise für eine anderweitige Beschäftigung in der Einrichtung sorgen. Die neue Tätigkeit muss dem Beschäftigten allerdings auch zumutbar sein. Einen ungeimpften Chefarzt wird man kaum als Pförtner beschäftigen, wobei sich die Frage stellt, ob die einrichtungsbezogene Impflicht auch für den Pförtner gilt oder in diesem Fall restriktiv auszulegen ist.

          Ein weiterer heikler Punkt beim Thema Kündigung ist die zeitliche Unsicherheit, die im Zusammenhang mit Corona-Schutzimpfungen besteht. Es gehe darum, den Arbeitgeber vor künftigen unzumutbaren Belastungen zu bewahren, erläutert Thüsing. „Kündigungen sind keine Sanktionen“, stellt Rudkowski klar. Zu treffen sei eine Prognoseentscheidung, ob in Zukunft noch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit denkbar sei. Diese Entscheidung wird bei Missachtung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht aber dadurch erschwert, dass der Gesetzgeber die Regelungen bis Ende dieses Jahres befristet hat.

          Wie es danach weitergeht, ist offen. Mit ziemlicher Sicherheit lässt sich aber sagen, dass Kündigungen, wenn sie denn aufgrund der bestehenden Unsicherheiten überhaupt ausgesprochen werden, vor Gericht landen werden.

          Weitere Themen

          VW lehnt Einigung zu möglicher Sklavenarbeit ab

          Brasilien : VW lehnt Einigung zu möglicher Sklavenarbeit ab

          Die brasilianische Staatsanwaltschaft wirft Volkswagen do Brasil schwere Menschenrechtsverletzungen auf einer früheren Farm im Amazonasgebiet vor. Der Autokonzern weist die Behauptungen zurück. Gespräche über ein Abkommen zur Wiedergutmachung sind nun gescheitert.

          Topmeldungen

          CDU-Chef Friedrich Merz

          Flüchtlinge : Merz wirft Scholz „Gleichgültigkeit“ vor

          Der CDU-Chef kritisiert die Bundesregierung angesichts von Problemen bei der Unterbringung von Migranten als tatenlos. Die FDP-Bundestagsfraktion dringt auf eine Eindämmung der hohen Flüchtlingszahlen.
          Die Minister Christian Lindner (links) und Robert Habeck nach dem Koalitionsausschuss: Was der FDP gefällt, ist für die Grünen schwer zu verkraften.

          Nach der Ampel-Sitzung : Grüner wird’s nicht mehr

          Nach der langen Sitzung in Berlin frohlockt die FDP über den Pragmatismus der SPD und lobt den Kanzler. Der dritte Partner im Bunde steht plötzlich allein da.
          Volkswagen-Werk in Brasilien

          Brasilien : VW lehnt Einigung zu möglicher Sklavenarbeit ab

          Die brasilianische Staatsanwaltschaft wirft Volkswagen do Brasil schwere Menschenrechtsverletzungen auf einer früheren Farm im Amazonasgebiet vor. Der Autokonzern weist die Behauptungen zurück. Gespräche über ein Abkommen zur Wiedergutmachung sind nun gescheitert.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.