
Jeder fährt für sich
2. Dezember 2020 · Weihnachten und Silvester auf die Ski: Das soll ausfallen in Zeiten der Pandemie. Doch zwei Alpenländer widersprechen.
Der Skisport spaltet Europa. Das Ansinnen aus Berlin, Paris und Rom, dem weißen Vergnügen in diesem Jahr gemeinsam bis Anfang Januar einen Riegel vorzuschieben, hat man in Österreich und der Schweiz mit Befremden aufgenommen. Dort hält man das Skifahren auch in Zeiten von Corona für vertretbar – und verbittet sich eine Einmischung von außen. Man gebe Frankreich auch keine Ratschläge, wann es den Louvre wieder aufsperren könne, tönte es aus Österreichs Regierung. Und das Virus verbreite sich vornehmlich in Innenräumen, nicht auf der Piste. „Die Schweiz fährt Ski. Aber sicher!“, hieß es in ähnlichem Tonfall aus der Eidgenossenschaft in einer Werbekampagne, die sich auch an Gäste aus dem Ausland richtet. In Tschechien sieht man die Sache mit dem Skifahren ähnlich locker.
Im Sinne der Gesundheit
Von NIKLAS ZÁBOJIDie deutsche Skilobby lässt nichts unversucht.
Der erste Schnee ist schon gefallen, aber die Lifte stehen still. Nichts geht zurzeit in Garmisch-Partenkirchen, Deutschlands Wintersportdomizil Nummer eins. Und so wird es aller Voraussicht nach auch über den 20. Dezember hinaus bleiben, wenn der Lockdown light endet. Mit schätzungsweise fast 15 Millionen Fahrern ist Deutschland die zweitgrößte Skination der Welt. Nördliche Mittelgebirge wie Sauerland und Harz sind den Deutschen dabei nicht genug. Jahr für Jahr fahren Millionen „Flachlandtiroler“ in den Süden, die meisten nach Österreich.
„Bei uns sind Sie sicher“
Von JOHANNES RITTERIn den Schweizer Alpen laufen die Lifte schon.
„Frau Merkel, bei uns sind Sie sicher“, titelte das Schweizer Boulevardblatt „Blick“ am Wochenende und zeigte ein altes Foto, das die deutsche Bundeskanzlerin beim Langlauf in Pontresina zeigt. In diesem Bergdorf in Graubünden hat Merkel in der Vergangenheit öfters Urlaub gemacht. Jetzt ärgern sich die dortigen Hoteliers, dass ihr prominenter Stammgast darauf dringt, den Skibetrieb über Weihnachten und Silvester ruhen zu lassen.
Ischgl in den Startlöchern
Von MICHAELA SEISERÖsterreich ist auf den Wintertourismus angewiesen.
In Österreich empört der Aufruf aus Deutschland, die Skigebiete über Weihnachten und Neujahr geschlossen zu halten. Die Seilbahnbetreiber, Hoteliers und Gastronomen wollen sich das Weihnachtsgeschäft mit den Wintertouristen nicht entgehen lassen – auch wenn die Infektionszahlen zurzeit deutlich höher sind als in Deutschland. Die schwarz-grüne Regierungskoalition verbittet sich Einmischung. Das Land entscheide selbst, ob es die Skigebiete öffne, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). „Was klar ist: Après-Ski wird es frühestens in einem Jahr wieder geben.“ Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) brachte seinerseits Geldforderungen ins Spiel. „Wenn die EU eine Vorgabe macht, dass die Skigebiete geschlossen bleiben müssen, erwarten wir uns Kompensationszahlungen“, kündigte er vergangene Woche an. Blümel beziffert den Entschädigungsaufwand mit zwei Milliarden Euro.
Frankreich macht dicht
Von CHRISTIAN SCHUBERTDie Franzosen blicken neidisch über die Grenzen.
Der Bürgermeister des französischen Grenzörtchens Châtel hat seinen Amtssitz mit Schweizer Fahnen behängt, um gegen die Maßnahmen seiner Regierung zu protestieren. In Gap demonstrierten am Wochenende Skilehrer und andere Mitarbeiter der Wintersportbranche. Die Regierung hat verordnet, dass die Skistationen außer den Gastronomiebetrieben geöffnet bleiben dürfen, doch nicht die Skilifte und Bergbahnen. Erlaubt sind somit nur der Skilanglauf und das Wandern im Schnee. Würden sich die Skifahrer in die Kabinen der Bergbahnen oder die Liftschlangen drängen, sei das Ansteckungsrisiko zu groß, argumentiert die Regierung. Zudem verweist sie darauf, dass verunglückte Skifahrer jedes Jahr die Krankenhäuser erheblich belasten.
Jetzt öffnen – oder nie
Von TOBIAS PILLERItalien käme ein Ski-Verzicht richtig teuer.
Eine Schließung von Skiliften und Skipisten würde die Italiener möglicherweise weitaus mehr kosten als das Nachbarland Österreich. Doch die Österreicher verweisen auf die finanziellen Opfer eines solchen Schrittes und wollen nicht auf ihre Skisaison verzichten. Zuletzt habe Italien in der Wintersaison rund 10 Millionen Besucher und 40 Millionen Übernachtungen verbucht.
Ein Viertel des Geschäfts entfiel dabei auf Südtirol und Trentino, während Lombardei (14 Prozent), Aostatal (13 Prozent), Piemont (12 Prozent) und Veneto (11 Prozent) annähernd gleichwertig sind. Weil die Regierung in Rom bisher auf der Schließung der Skilifte besteht, blicken die norditalienischen Regionen nun sorgenvoll in Richtung Österreich oder in die Schweiz und befürchten unlauteren Wettbewerb jenseits der Grenzen, weil die nördlichen Nachbarn bisher nicht auf ihre Wintersaison verzichten wollen.
Alternative Tschechien?
Von ANDREAS MIHMAuch in Tschechien beginnt die Saison wohl erst später.
„10 Gründe für den Familien-Skiurlaub in Tschechien“ steht auf dem deutschsprachigen Faltblatt des tschechischen Tourismusverbands. Die reichen von „ganz nah“ über „drei Monate Schneesicherheit“ bis „Unterkünfte für jeden Geschmack und Geldbeutel“. Tatsächlich sind es von Berlin aus nur vier, von Dresden aus zwei Stunden Autofahrt in die Skigebiete des tschechischen Erz- oder Riesengebirges. Die Pisten auf Mittelgebirgsrücken eignen sich gut für Familienurlaube. Auch sonst hält sich der Skizirkus auf den – wenn auch immer öfter künstlich beschneiten – Pisten im Rahmen. An der Schneekoppe bringt das Skiareal Spindlermühle (Špindleruv Mlýn) 25 Kilometer auf die Piste, Keilberg (Klinovec) im Erzgebirge 30, landesweit sind es 600 Kilometer.
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