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Schuldenkrise : Euro-Staaten rechnen sich ihre Brandmauer hoch

Rund 800 Milliarden Euro sollen die Rettungsfonds ESM und EFSF künftig umfassen. Die Finanzminister wollen damit nach eigenen Worten „den Euro verteidigen“.

Rund 800 Milliarden Euro sollen die Rettungsfonds ESM und EFSF künftig umfassen. Die Finanzminister wollen damit nach eigenen Worten „den Euro verteidigen“. Bild: Maria Irl

Wie hoch ist die „Brandmauer“, welche die gefährdeten Euro-Staaten vor Finanzierungsschwierigkeiten schützen soll? Die Finanzminister des Euroraums sprechen mittlerweile von 800 Milliarden Euro oder „mehr als eine Billion Dollar“. Die Rechnung wird immer verworrener.

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          Der permanente Euro-Krisenfonds ESM wird auf ein Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro begrenzt, aber nicht mit den schon verplanten Mitteln aus laufenden Hilfsprogrammen für angeschlagene Euro-Staaten verrechnet. Darauf haben sich die Finanzminister des Euroraums auf ihrem informellen Treffen am Freitag in Kopenhagen verständigt. Im Abschlusskommuniqué der Minister ist allerdings die Rede davon, dass die „Brandmauer“, welche die gefährdeten Euro-Staaten vor Finanzierungsschwierigkeiten schützen soll, sich nunmehr auf 800 Milliarden Euro oder „mehr als eine Billion Dollar“ belaufe. Die österreichische Finanzministerin Maria Fekter berichtete von einem „breiten Konsens“ über diese Lösung.

          Werner Mussler
          Wirtschaftskorrespondent in Brüssel.

          Für den ESM stehen nunmehr 500 Milliarden Euro an „frischem“ Geld zur Verfügung. Die von den Ministern definierte Brandmauer von 800 Milliarden Euro setzt sich zum einen zusammen aus den ESM-Mitteln von 500 Milliarden Euro und rund 200 Milliarden Euro, die der bisherige Krisenfonds EFSF im Rahmen bereits beschlossener Hilfsprogramme an Irland, Portugal und Griechenland bereitstellt. Zum anderen werden nun auch jene Mittel von insgesamt rund 100 Milliarden Euro hinzugerechnet, die als Kredite aus verschiedenen EU-Quellen für das erste Griechenland-Hilfsprogramm gewährt wurden. Es handelt sich dabei um 49 Milliarden Euro an Krediten, die aus dem durch den EU-Haushalt abgesicherten Krisenfonds EFSM an Athen geflossen sind, sowie um 53 Milliarden Euro an bilateralen Krediten der Euro-Staaten für Griechenland. Auch dieses Geld ist bereits verplant.

          Schäuble: Wir erhoffen uns wohlwollende Reaktion der Märkte

          Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) hatte den Betrag von 800 Milliarden Euro als Erster am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung in Kopenhagen genannt. Am Freitag gab er zu verstehen, dass sich die Minister eine wohlwollende Reaktion der Finanzmärkte davon erhofften. Die Einigung entspricht im Kern der vorab abgesteckten Verhandlungsposition der Bundesregierung. Das gilt vor allem mit Blick auf die Deckelung des ESM-Volumens. Die derzeit noch verfügbaren EFSF-Mittel von 240 Milliarden Euro werden dem ESM nicht zugeschlagen.

          Jean-Claude Juncker mit der österreichischen Finanzministerin Fekter während des Treffens: Später ärgerte sich Juncker über Fekter, weil sie zuerst vor die Presse trat.
          Jean-Claude Juncker mit der österreichischen Finanzministerin Fekter während des Treffens: Später ärgerte sich Juncker über Fekter, weil sie zuerst vor die Presse trat. : Bild: dpa

          Diese bisher unverbrauchten EFSF-Mittel sollen zwischen Mitte 2012 und Mitte 2013 nur als Puffer eingesetzt werden, um das volle ESM-Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro sicherzustellen, wenn der ESM wegen noch ausstehender Bareinzahlungen noch nicht seine volle „Feuerkraft“ erreicht hat. In einer Beschlussvorlage für das Kopenhagener Treffen war noch vorgesehen gewesen, dass diese 240 Milliarden im Notfall zusätzlich eingesetzt werden könnten. Der französische Finanzminister Baroin hatte am Donnerstag sogar ein Gesamtvolumen von einer Billion Euro gefordert.

          Juncker sauer auf österreichische Finanzministerin Fekter

          Der ESM nimmt seine Arbeit im Juli 2012 auf, während die ursprünglich als Provisorium angelegte EFSF Mitte 2013 ausläuft. Er soll über dieses Datum hinaus nur noch die von ihm verwalteten Programme abwickeln. Während die EFSF über Bürgschaften der Euro-Staaten abgesichert ist (die deutschen Garantien betragen rund 211 Milliarden Euro), besteht die Kapitalbasis des ESM aus Bareinzahlungen der Euro-Staaten von insgesamt 80 (Deutschland: knapp 22) Milliarden Euro und abrufbarem Kapital von 620 (Deutschland: 168) Milliarden Euro. Damit sich der ESM die höchstmögliche Bonität sichert, müssen etwa 15 Prozent seines Kreditvolumens durch Bareinzahlungen abgesichert sein. 100 Milliarden Euro Kredite erfordern also grob gerechnet 15 Milliarden Euro Bareinzahlungen.

          Bisher sollten die Bareinzahlungen bis 2015 gestreckt werden. Die Minister beschlossen nun, diese Einzahlungen zu beschleunigen. Damit soll sichergestellt werden, dass der ESM sein geplantes Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro schneller erreicht. Die ersten beiden Tranchen von je 16 Milliarden Euro sollen im Juli und Oktober 2012 eingezahlt werden, weitere zwei im Jahresverlauf 2013, die letzte in der ersten Jahreshälfte 2014.

          In der Beschlussvorlage für Kopenhagen waren die „Restmittel“ aus der EFSF von 240 Milliarden Euro als eine Art Notreserve für den Fall geplant gewesen, dass die ESM-Mittel nicht ausreichen. Dies gilt nun nur insoweit, als der ESM sein geplantes Auszahlungsvolumen von 500 Milliarden Euro wegen noch nicht komplett erfolgter Bareinzahlungen vorübergehend nicht erreicht. Frau Fekter sprach von einer „Pufferfunktion“ der EFSF-Mittel.

          Die Ergebnisse des Kopenhagener Treffens wurden offiziell zunächst nur durch ein schriftliches Kommuniqué bekannt. Der Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Premierminister Juncker, sagte seine geplante Pressekonferenz kurzfristig ab. Der Grund war offenbar, dass sich Frau Fekter schon an die Medien gewandt hatte, während die Eurogruppe noch tagte. Juncker hatte dem Vernehmen nach unmittelbar zuvor viele seiner Kollegen kritisiert, weil sie ohne Abstimmung mit ihm an die Öffentlichkeit träten. Nachdem er von Frau Fekters Auftritt erfahren hatte, zog sich Juncker in sein Hotel zurück, hieß es. Personalentscheidungen wurden in Kopenhagen nicht getroffen.

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