Gerangel um Ratgeberposten
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Bild: Peter von Tresckow
Der Rat der fünf Weisen ist seit fast eineinhalb Jahren unterbesetzt. Um die Posten gab es in der Geschichte des Sachverständigenrats immer wieder Streit. Zeit für einen Rückblick.
Im Rat der fünf Wirtschaftsweisen sind noch Posten frei. Seit die Amtszeit des bisherigen Vorsitzenden, des liberalen Freiburger Ökonomen Lars Feld, im vergangen Jahr auf Drängen der SPD nicht verlängert wurde, klafft eine Lücke im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die letzte Große Koalition konnte sich nicht auf einen Nachfolger einigen, seit mehr als einem Jahr ist der Platz vakant und der Rat ohne Vorsitz. Im April trat dann auch noch der Frankfurter Geldpolitikexperte Volker Wieland zurück, seither sind die Wirtschaftsweisen nur noch zu dritt. Für Wieland wurde zwar mit Martin Werding rasch ein Nachfolger nominiert – offiziell verkündet ist aber noch nichts. So einfach scheinen die Posten in Zeiten hitziger Debatten auch nicht zu besetzen sein. Im Frühjahr tobte unter Ökonomen und Politikern eine teils überaus schroff geführte Debatte um ein Energieembargo gegenüber Russland, in die sich auch der Rat einschaltete. Der Münchener Ifo-Forscher Andreas Peichl sagte jüngst frustriert, er habe „keinen Bock mehr auf die Beratung dieser Politik“, weil Politiker Ratschläge von Ökonomen immer nur dann super fänden, wenn sie ihnen inhaltlich passten.
Streit um die Besetzung der Posten im „Rat der fünf Wirtschaftsweisen“ gab es in dessen Geschichte immer wieder. Wer sich mit der Historie des Beratergremiums beschäftigt, wird feststellen, dass sich an ihr zahlreiche wirtschaftshistorische, aber auch ganz grundsätzliche gesellschaftliche Entwicklungen ablesen lassen. Durch seine exponierte Stellung war der Rat seit seiner Gründung 1963 in die dominierenden wirtschaftspolitischen Debatten der Zeit involviert. Seine Resonanz ist ein Gradmesser für den Stellenwert wissenschaftlicher Expertise in der deutschen Öffentlichkeit.
Eine eher weniger professionell geführte Debatte
Eine Episode aus der Frühzeit des Sachverständigenrats fällt durch gewisse Ähnlichkeiten zur gegenwärtigen Gemengelage auf. Der Rücktritt Volker Wielands war nur der letzte in einer langen Reihe, die schon zwei Jahre nach Ratsgründung mit dem Freiburger Ordoliberalen Fritz W. Meyer begann. Kurz darauf folgten der Saarbrücker Ökonom Wolfgang Stützel (1968) und der von den Gewerkschaften nominierte Harald Koch (1969), Letzterer aus Protest gegen Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß, der dem Rat öffentlich „terroristische Beeinflussung“ vorgeworfen hatte. Hintergrund dieser Auseinandersetzung war der Aufwertungsstreit, der sich um die Frage drehte, ob der damals noch feste Wechselkurs der D-Mark angesichts der hohen Inflation aufwerten sollte.
In dieser Grundsatzfrage, die damals die wirtschaftspolitische Debatte prägte, befand sich die Ratsmehrheit mit ihrer Forderung einer Aufwertung oder gar Flexibilisierung der D-Mark zunächst auf Konfrontationskurs mit der Regierung, die ihre Verärgerung ob der unliebsamen Ratgeber nicht verhehlen konnte. Dabei wurde nicht nur darüber diskutiert, inwieweit die Aufwertungsfrage überhaupt eine ökonomische oder nicht vielmehr eine politische Frage sei, was an so manches Argument des letzten Frühjahrs erinnert. Der Streit fand zudem auch ratsintern statt, was zu einem Vorgang führte, der im Hinblick auf die Debattenkultur ebenfalls an Teile der Embargo-Diskussion erinnert. Als Aufwertungsbefürworter sah sich Wolfgang Stützel durch seine Kollegen in der Ausübung seiner Minderheitsrechte beeinträchtigt und trat aus Protest zurück, weshalb das Jahresgutachten 1968, wie auch das aus dem Jahr 2021, von nur vier Ratsmitgliedern erarbeitet wurde. Der erste Skandal des damals noch jungen Gremiums, die „Stützel-Affäre“, war geboren. Die Details lassen sich beim Wirtschaftshistoriker Tim Schanetzky nachlesen; interessant ist hier, dass sich zwei ökonomische Positionen in einer politisch angespannten Situation unversöhnlich gegenüberstanden und der dabei geführte Debattenstil wenig professoral anmutete.
Wichtiger als man denkt
Anders als die aktuellen Ratsmitglieder, die sich aus dem Schauspiel, das im Frühjahr auf Twitter zu beobachten war, herausgehalten haben, fochten ihre Vorgänger ihre Differenzen in Gastbeiträgen in diversen Zeitungen aus – dem damaligen Pendant zum heutigen „Econ-Twitter“. Dadurch kam die Frage nach der Bedeutung der Geschlossenheit oder Pluralität des Gremiums für dessen Erfolg auf – ein Punkt, der seitdem immer wieder diskutiert wird; historisch betrachtet, scheint für die Außenwirkung weniger die Geschlossenheit der Ratgeber per se von Bedeutung zu sein als vielmehr die nach außen getragene Debattenkultur. Die Nachbesetzung Stützels geriet auch zum Politikum, indem sie für zusätzliche Spannungen innerhalb der Koalition aus Union und SPD sorgte, die angesichts der Debatte ohnehin zu zerbrechen drohte. Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) und Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß (CSU), zu Beginn der ersten „Groko“ noch ein harmonisches Gespann, führten in dieser Personalfrage einen Stellvertreterkrieg: Gemäß seiner Zuständigkeit schlug Schiller zwei Kandidaten vor, die Strauß überraschend mit eigenen Vorschlägen konterte. Strauß setzte sich durch, Schillers Kandidat wurde erst ein Jahr später von der neuen sozialliberalen Bundesregierung als Nachfolger von Herbert Giersch berufen.
Natürlich lässt sich dieser Vorgang wie die aktuell vakante Ratsstelle als Beleg einer Instrumentalisierung des Rates durch die Politik verstehen. Andererseits könnte man beides auch als Ausdruck für die Bedeutung interpretieren, die dem Rat damals wie heute beigemessen wird. Anders gesagt: Wäre der Rat so irrelevant wie oft behauptet, so wäre die fünfte Stelle vermutlich schnell vom Tisch gewesen. Der Aufregung darum lässt sich zudem entgegnen, dass der befürchtete langfristige Reputationsschaden der Stützel-Affäre ausblieb. Generell scheint der Sachverständigenrat das Sprichwort zu bestätigen, wonach Totgesagte länger leben. Damit das auch so bleibt, wäre die Regierung jedoch gut beraten, das Gremium möglichst schnell wieder mit voller Personalstärke auszustatten. Bedarf an unaufgeregter Beratung gibt es derzeit mehr als genug.
Lino Wehrheim ist als Postdoc am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Regensburg tätig.