Problem mit Anleihen : Russlands erzwungener Zahlungsausfall
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Russland bestreitet einen Zahlungsausfall von Zinsen bei zwei in Dollar und Euro begebenen Anleihen und sieht die Verantwortung beim zuständigen Clearinghaus. Bild: Reuters
Wegen der Sanktionen kann Moskau die Zinsen für Anleihen nicht überweisen. Der Kreml gibt dem Westen die Schuld. Die USA hingegen stellen fest, dass das Land im Zahlungsausfall ist.
Es wäre ein historisches Ereignis: der erste Zahlungsausfall Russlands seit langer Zeit. Ob es der erste seit der bolschewistischen Oktoberrevolution vor mehr als 100 Jahren wäre, wird angezweifelt, weil Russland in der Rubel-Krise 1998 Gläubiger nicht bedienen konnte. Der Konjunktiv „wäre“ verdeutlicht, dass am Montag vieles noch unklar war. Als Tatsache ist seit dem Wochenende bekannt, dass der Kreml die Zinsen von 100 Millionen Dollar nicht bis Sonntag den Gläubigern in Taiwan überwiesen hat. Diese Zahlungen hätten schon am 27. Mai geleistet werden müssen, danach gab es eine 30-tägige Gnadenfrist, die am Sonntag abgelaufen ist. Doch Juristen können nicht ausschließen, dass diese Gnadenfrist erst am ersten Arbeitstag, dem Montag, endet.
An den Finanzmärkten war von einem Schockmoment nichts zu spüren. Der Deutsche Aktienindex Dax gewann im Handelsverlauf am Montag um 0,8 Prozent auf 13 225 Punkte. An den Anleihemärkten gaben die Kurse etwas nach, aber die Renditen, die seit Jahresanfang wegen der Inflationssorgen deutlich gestiegen sind, blieben deutlich unter den zuletzt erreichten Hochs. Russische Fremdwährungsanleihen werden seit Monaten zu Kursen gehandelt, die einen Zahlungsausfall einpreisen. Kein einziger Titel hat einen Kurs von mehr als 30 Prozent des Nominalwerts (100 Prozent).
Offenbar rechnet auch die russische Regierung nicht mehr damit, den Zahlungsausfall noch abwenden zu können. Sie gibt dem Westen die Schuld. In einem Telefonat mit Journalisten sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow, Russland habe die im Mai fälligen Anleihezahlungen geleistet. Die Tatsache, dass sie vom Clearinghaus Euroclear wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland blockiert worden seien, sei „nicht unser Problem“. Für die US-Regierung handelt es sich dagegen um einen Zahlungsausfall. Die Nachrichten darüber zeigten, wie stark die Maßnahmen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten seien, sagte ein US-Regierungsvertreter am Rande des G7-Gipfels in Deutschland. Die Folgen für die russische Wirtschaft seien „dramatisch“.
Bislang trotz Krieg und Sanktionen Verpflichtungen nachgekommen
Bislang konnte Russland seit dem Überfall auf die Ukraine, der am 24. Februar begonnen hat, trotz der Sanktionen seinen Verpflichtungen für die auf Dollar oder Euro lautenden Fremdwährungsanleihen nachkommen. Zwar war es immer wieder zu einem Zahlungsverzug gekommen, doch vor Ablauf der Gnadenfrist gingen die Tilgungen und Zinsen bei den Gläubigerin ein. Erst nach Ablauf der Gnadenfrist stellen die Ratingagenturen den Zahlungsausfall in der Regel fest. Doch S&P Global, Moody’s und Fitch dürfen im Rahmen der westlichen Finanzsanktionen Russland und dessen Schuldtitel nicht mehr bewerten. Allerdings sollte die offizielle Feststellung des Zahlungsausfalls nicht gegen die Ziele der Sanktionen verstoßen.
Die Maßnahmen des Westens gegen Russland suchen im Finanzbereich seinesgleichen. Dass russische Banken nicht mehr am internationalen Zahlungssystem Swift teilnehmen dürfen, ist noch die mildeste Strafe. Deutlich schwerer wiegt das Einfrieren der Devisenreserven, die bei westlichen Noten- und Geschäftsbanken liegen. Nach Angaben des russischen Finanzministers Anton Siluanow hat Russland damit die Kontrolle über 300 Milliarden Dollar, also über die Hälfte seiner Reserven verloren. Doch auch danach war Russland in der Lage, Anleihen zu bedienen. Allerdings mussten dann Ausnahmetatbestände in den Klauseln bemüht werden, wonach neben der Zahlung von Dollar oder Euro auch Rubel-Überweisungen möglich sind.
Doch bei allen Schuldtiteln ist dies nicht möglich, so auch bei den beiden nun vom Verzug betroffenen Anleihen. Zudem haben die Vereinigten Staaten in den vergangenen Monaten die Schrauben immer enger gezogen. Im Mai wurden den Gläubigern verboten, Zahlungen des russischen Staats anzunehmen. Zuvor hatte das amerikanische Finanzministerium westliche Korrespondenzbanken angewiesen, russische Zahlungen nicht mehr weiterzuleiten. Russland hatte daraufhin den Schuldendienst vollständig auf Rubel umgestellt. Nach den neuen russischen Bedingungen gelten die Verpflichtungen für Fremdwährungsanleihen als erfüllt, wenn die erforderlichen Beträge in Rubel an den nationalen Zahlungsabwickler NSD überwiesen werden. Nur ist NSD seit einigen Wochen ebenfalls von den EU-Sanktionen betroffen und kann nicht mehr am Zahlungsverkehr teilnehmen.
Zugriff auf eingefrorene russische Vermögen
In dieser Gemengelage wurden dann auch in der westlichen Politik die Forderungen immer lauter, auf das im Ausland liegende und derzeit eingefrorene russische Vermögen zuzugreifen, um damit den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Auch die Bedienung der westlichen Gläubiger könnte daraus erfolgen, wenn diese zum Beispiel vor einem Gericht in Europa oder den Vereinigten Staaten Russland auf Erfüllung des Schuldendiensts verklagten.
Sollte auf Vermögen des russischen Staats im Ausland zugegriffen werden, würde das der russische Finanzminister Siluanow als den Beginn eines direkten Konflikts mit dem Westen verstehen. Dann gälten völlig neue Bedingungen. Russland müsste dann ganz anders reagieren, nicht nur über die legalen Wege, lautet seine unverhohlene Warnung an den Westen. Russlands ausstehendes Volumen an Fremdwährungsanleihen beträgt 49 Milliarden Dollar. Bis Ende des Jahres ist dafür ein Schuldendienst von 1 Milliarde Dollar nötig.