Rückkehr des Italien-Risikos : Rom könnte Eurozone in die Krise stürzen
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Für Italien kommt die Krise zu einem schlechten Zeitpunkt. Bild: dpa
Die Regierungskrise in Rom kommt für Italien und Europa zur Unzeit. Unsicherheit gibt es beileibe genug. Das Land hat nach wie vor das Potential, die Eurozone in die Krise zu stürzen.
Die Finanzmärkte blicken an diesem Freitag mit großer Nervosität auf Italien. Auch in der Realwirtschaft, unter den Unternehmen, befürchtet man neue Risiken. Ministerpräsident Mario Draghi hatte am Donnerstagabend seinen Rücktritt angeboten, weil ihm nach eigener Analyse die Unterstützung der breiten Regierungskoalition abhandengekommen ist. Staatspräsident Sergio Mattarella lehnte den Rücktritt jedoch ab.
Die neue Regierungskrise kommt für Italien zu einer denkbar schlechten Zeit. Das Land war gerade dabei, sich von den schweren Restriktionen der wieder aufflammenden Pandemie zu erholen, als der Ukrainekrieg und die Energiekrise zuschlugen. Die wirtschaftliche Erholung, die im vergangenen Jahr begann, steht jetzt wieder auf wackeligen Füßen.
Wegen der Inflation erhöht die Europäische Zentralbank die Zinsen und stellt die regelmäßigen Käufe italienischer wie anderer Staatsanleihen im Rahmen ihrer Programme aus der Zeit der Pandemie und der Staatsschuldenkrise ein. Sie tritt weiter als Käuferin auf dem Markt auf, doch unter Umständen in einer zurückhaltenden Form. Der Plan lautete bisher jedenfalls, dass Italien mit der Finanzierung seines Haushaltes wieder alleine laufen lernt.
Ein politisches Vakuum droht
In diesem Umfeld will Draghi hinschmeißen, auch wenn er wie kaum einer seiner Vorgänger auf den Finanzmärkten und unter den Unternehmen Ansehen genießt. Und auch wenn der Präsident seinen Wunsch vorerst zurückgewiesen hat, ist das Land nun blockiert und mit einem politischen Vakuum konfrontiert. Am Montag steht eine wichtige Reise der Regierung nach Algerien an, dem inzwischen wichtigsten Gaslieferanten Italiens. Draghi wird sie wahrnehmen. Doch wie handlungsfähig ist Italien? Am Mittwoch wird sich Draghi nach dem Wunsch Mattarellas im italienischen Parlament erklären. Was daraus folgt, ist derzeit ungewiss.
Solche Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft, gerade in einem Land wie Italien, das eine entschlossene Führung bräuchte. Schon am Donnerstag war der italienische Börsenindex FTSE-MIB um mehr als 3,4 Prozent zurückgewichen. Am Freitagmorgen stabilisierten sich die Kurse weitgehend, vor allem bei den italienischen Banken.
Doch der Zinsabstand zwischen den zehnjährigen Staatsanleihen aus Italien und Deutschland – der wichtigste Gradmesser für das italienische Risiko an den Finanzmärkten – schnellte um mehr als 5 Prozent auf 222 Punkte in die Höhe. Dieses Niveau liegt noch deutlich unter früheren Höchstständen, doch das könnte auch an Eingriffen der EZB liegen. Am Freitagmorgen kletterte der Spread um weitere rund 1 Prozent. Auf jeden Fall ist Italien jetzt wieder ein Unsicherheitsfaktor: Ein Land, das viel größer ist als Griechenland – das daher den ganzen Euroraum in die Krise stürzen könnte.
Draghi will nicht mehr, weil ihm zuletzt die Unterstützung der Linkspartei „Fünf Sterne“ fehlte. Die ehemalige Graswurzelbewegung, die im Parlament heute mehr Abgeordnete stellt als alle anderen Parteien, meinte sich unter Führung von Draghis Vorgänger Giuseppe Conte mit aller Gewalt als Verteidiger der sozial Schwachen und der Umwelt profilieren zu müssen. Die „Fünf Sterne“ stehen in den Umfragen schlecht da und müssen fürchten, bei der nächsten Wahl unterzugehen.
Draghi würde seine Regierungskoalition nur zu gerne ohne sie weiterführen, doch zur Zeit ist unklar, wie das gelingen kann. „Die Regierung ist jetzt geschwächt“, notieren die Analysten von Morgan Stanley und halten neue Vertrauensvoten im Parlament und im Senat in kurzer Zeit für möglich. Kommen jetzt bald auch Neuwahlen? Das könnte die wichtige Verabschiedung des Haushaltsplanes in diesem Jahr gefährden. Alle Wahlen der Nachkriegszeit haben aus diesem Grund zwischen Februar und Juni stattgefunden, heißt es von Morgan Stanley.
Nicht alles ist schlecht
Die EU-Kommission hat die Wachstumsprognose für Italien für dieses Jahr zuletzt von 2,4 auf 2,9 Prozent angehoben. Denn die Bauwirtschaft zeigt sich aufgrund der großzügigen Investitionsförderung für Haushalte als robust. Auch die Tourismus-Einnahmen sind erfreulich.
Doch für das kommende Jahr hat die Kommission die Wachstumsschätzung von 1,9 auf 0,9 Prozent gesenkt. Die Schwierigkeiten bei der Energieversorgung sind ein Grund dafür: Italien ist von russischem Gas ähnlich abhängig wie Deutschland. Das Land kommt bei der Umstellung zwar dank seiner geografischen Ausrichtung nach Afrika und zum Nahen Osten voran, doch diese neue Energiewende ist kostspielig.
Angesichts einer Inflation von zuletzt 7,4 Prozent sind die Kaufkraftverluste der Haushalte schmerzhaft. Die fortgesetzte Trockenheit in Norditalien befeuert die Steigerung der Lebensmittelpreise zusätzlich. Gleichzeitig steigt der Druck, zum Ausgleich die Löhne zu erhöhen, was die Inflation zusätzlich befeuern würde, warnt die EU-Kommission.
Die neue Regierungskrise hat sich vor allem am Streit um neue staatliche Hilfen für die sozial Schwachen entzündet. Der Fünf Sterne-Partei gehen sie nicht weit genug, doch Draghi weiß, dass die italienischen Staatsfinanzen angesichts der zweithöchsten öffentlichen Verschuldung in der EU nach Griechenland unter besonderer Beobachtung der Finanzmärkte stehen.
Nicht alle seine Reformen seit dem Amtsantritt im Februar 2021 sind ihm geglückt, doch er galt und gilt als Garant der Stabilität. Im kommenden Frühjahr wäre seine Amtszeit regulär ausgelaufen. Das frühe Ende, wenn es denn kommt, bringt das Italien-Risiko rascher als gewünscht zurück auf die europäische Tagesordnung.