Strukturkommission tagt : Wie die Kohle den Sommer gerettet hat
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Woher kommt der Strom, wenn spätestens das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet ist? Bild: Getty
Wie sicher fließt der Strom nach dem Ausstieg aus der Atom- und Kohlekraft? Die Regierung setzt auf Importe, die Energiebranche hält das für sehr riskant.
Ein Rekordhalbjahr habe die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien hingelegt, jubelte das Umweltbundesamt Mitte August. Mit 117 Milliarden Kilowattstunden habe der Halbjahreswert rund 10 Prozent über dem Vorjahresniveau gelegen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) freute sich indes, dass der Anteil der Regenerativen am Stromverbrauch inzwischen auf 35 Prozent gestiegen sei. Beste Voraussetzungen für einen schnellen Ausstieg aus der Kohlestromerzeugung also?
Die Daten dieses Sommers zeigen eine andere Wahrheit. Obwohl mehr Windräder und Solaranlagen als im Vorjahr installiert waren, sank die Menge des erzeugten Ökostroms. Braun- und vor allem Steinkohlekraftwerke mussten einspringen, um die Stromnachfrage zu decken. Die in der folgenden Grafik abgebildeten Daten der Bundesnetzagentur zur Stromerzeugung zeigen, dass die Kohlekraftwerke zur großen Freude ihrer Betreiber bei steigenden Preisen bisher fast 10 Prozent Strom mehr lieferten als im Vorjahreszeitraum.
Der trockene Sommer ließ zwar die Einspeisung der Photovoltaikanlagen in die Höhe schnellen. Doch die mit der stabilen Hochdrucklage verbundene Flaute ließ die Windkraftwerke nur selten ins Rotieren kommen und wenn, dann auch noch weit unter ihren Möglichkeiten. So musste das Umweltbundesamt eingestehen, dass die gute Ausbeute des ersten Halbjahres vor allem vom stürmischen Januar gelebt habe. Der erbrachte allein 70 Prozent des bis Juni registrierten Zuwachses aller Erneuerbaren.
Diese Sommerwochen waren auch genau die Zeit, in denen Umweltpolitiker, -gruppen und Lobbyverbände der Erneuerbaren einerseits vermehrt den beschleunigten Ausbau (subventionierter) Wind- und Solaranlagen verlangten und sich andererseits für den beschleunigten Ausstieg aus der nachweislich klimaschädlichen Kohleverstromung einsetzten.
Vor diesem Hintergrund denkt die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ an diesem Donnerstag wieder darüber nach, wie schnell der bis spätestens 2050 geplante Ausstieg aus der Kohleverstromung gelingen kann.
Es dürfte abermals wenn nicht Streit, so doch heftige Debatten geben, stehen doch nach „Klima und Kohle“ diesmal die Punkte Versorgungssicherheit und Preis auf der Tagesordnung. Der inzwischen wieder mit Steinen und Metallstangen gegen Polizisten ausgetragene Kampf um den Wald am Rande des von RWE betriebenen Braunkohletagebaus Hambach wird die Stimmung nicht abkühlen.
Während sich am Montag Mitglieder der Kommission mit Baumbesetzern solidarisierten und den abermaligen Aufschub der anstehenden Rodung von 100 Hektar Wald verlangten, setzen Mitglieder der Gewerkschaft IG BCE vor dem Berliner Tagungsort ein „Schnauze voll von Gewalt“ dagegen.
Kalter Entzug ist keine Option
Laut RWE ist das Abholzen notwendig, damit der Tagebau Kraftwerke wie Niederaußem versorgen kann. Schon im vorigen Winter hatte man auf das Abholzen verzichtete. Jetzt aber will RWE die Zeit bis Februar nutzen, in der Fällarbeiten erlaubt sind. Denn ohne ständige Belieferung stünden Kraftwerke bald still. So eine kalte Abschaltung will nicht nur RWE, sondern auch die Landesregierung verhindern, die neben der Braunkohle energieintensive Industrien im Blick hat.
„Die Versorgungssicherheit ist ein entscheidender Faktor im Wettbewerb der europäischen Wirtschaftsstandorte und darf keinesfalls aus politischem Kalkül aufs Spiel gesetzt werden“, sagte Landeswirtschaftsminister Andreas Pinkwart der F.A.Z. Er erinnert an „kritische Phasen“ wie zu Beginn des vergangenen Jahres, „in denen der deutsche Kraftwerkspark witterungsbedingt am Anschlag lief“. Deshalb könne das Land seine Versorgungssicherheit „nicht abhängig machen von anderen Ländern“.
Nicht allein auf Stromimporte aus dem Ausland verlassen
Damit legt das Kommissionsmitglied Pinkwart seine Finger auf eine wunde Stelle. Denn in den Konzepten der Bundesregierung, die sie auch diesen Donnerstag mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen untermauern will, spielt das Ausland eine wichtige Rolle für die inländische Versorgungssicherheit – nachdem der letzte Atommeiler Ende 2022 stillsteht und Kohlekraftwerke mehr und mehr abgeschaltet werden sollen. Pinkwart steht mit seinen Mahnungen nicht allein da.
Der Chef des Energieverbands BDEW, Stefan Kapferer, sagt: „Wir werden uns im kommenden Jahrzehnt nicht allein auf Stromimporte aus dem europäischen Ausland verlassen können.“ Laut EU-Kommission schrumpften die Kapazitäten der Kohlekraftwerke in Europa von 2016 bis 2025 von 150 Gigawatt auf 105 Gigawatt, bis 2030 auf 55 Gigawatt. Auch sei die Stromnachfrage in Mitteleuropa meist gleich hoch: „Ein besonders kalter Winter macht nicht an einer deutschen Grenze halt“, sagt Kapferer. „Wir können uns in solchen Phasen nicht darauf verlassen, aus diesen Ländern Strom in nennenswertem Umfang importieren zu können.“
Der Stromnetzbetreiberverband Entso-E, der auch zur Sitzung geladen ist, hat eigene Rechnungen angestellt. Das hochindustrialisierte Deutschland müsste sich demnach in den zwanziger Jahren auf einige Dutzend Stunden Stromausfall im Jahr einstellen. Heute liegt die Rate bei wenigen Minuten.