Vorstoß zur Kalten Progression : Der Befreiungsschlag des Finanzministers
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Wolfgang Schäuble Bild: AFP
Die SPD hat sich zuletzt als die politische Kraft profiliert, die für eine steuerliche Entlastung der Arbeitnehmer eintritt. Finanzminister Schäuble versucht nun, den Eindruck zu korrigieren, dass die Union dabei bremst. Er reagiert spät, aber nicht zu spät. Ein Kommentar.
Auch wenn es merkwürdig klingt: Die vielen Milliarden Euro, die die Steuerschätzer nun dem Bund wie den Ländern vorhersagen, hätten für Wolfgang Schäuble und die gesamte Union zu einem Problem werden können – wenn der Finanzminister nicht reagiert hätte. Die SPD hat sich zuletzt immer mehr als die politische Kraft profiliert, die für eine Entlastung der Arbeitnehmer eintritt, während die Union nur noch davon sprach, dass man Investitionslücken schließen müsse. Normalerweise ist es andersherum: Die Sozialdemokraten streiten für einen starken Staat; die Union wirbt für eine Entlastung von Bürgern und Unternehmen. Diese Rollen drohten sich zu verkehren.
Schäuble versucht nun den Eindruck zu korrigieren, dass die Union bei der Steuerentlastung bremst, ehe es sich in die Köpfe und Herzen einbrennt. Er hält eine Entschärfung der kalten Progression für möglich: Was der Fiskus mehr einnimmt, weil die Arbeitgeber die Geldentwertung ausgleichen, soll den Bürgern zurückgegeben werden. Ohne Anpassung des Tarifs an die Inflation sorgt die Progression in der Einkommensteuer dafür, dass die Steuerlast steigt, obwohl sich die Bürger real nicht mehr leisten können. Das ist die berühmte kalte Progression.
Schäuble reagiert spät, aber nicht zu spät: Die Entlastung soll schon zum Jahreswechsel in Kraft treten. Nun muss die SPD beweisen, dass es ihr mit den Steuersenkungsplänen ernst ist. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel muss beweisen, dass er seine Partei im Griff hat und die Ministerpräsidenten auf Kurs bringen kann. Denn auch das gehört dazu: Den ersten Versuch Schäubles zur Entschärfung der kalten Progression hatten SPD und Grüne im Bundesrat blockiert. Das war vor der Bundestagswahl. Nach wie vor stehen viele Landesregierungen Steuersenkungen skeptisch gegenüber, weil die Zwänge der Schuldenbremse zunehmend spürbar werden.
Doch selbst wenn die Hürde Bundesrat mit der Kraft zweier Volksparteien genommen werden könnte, sollte sich niemand großen Illusionen hingeben. Die Entlastung ist vor allem symbolischer Natur. Die persönlichen Steuerschätzungen sind nicht groß zu korrigieren. Trotz der Ankündigung von Entlastungen steigt das verfügbare Einkommen längst nicht so stark wie das Steueraufkommen des Staates.