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Veraltetes Modell : Plötzlich verdreifacht sich die Grundsteuer

Lauschig aber nun teurer: Im Nauheimer Idyll werden die Grundsteuern kräftig erhöht Bild: Kaufhold, Marcus

Das antiquierte Einheitswertesystem produziert viele Ungerechtigkeiten bei der Berechnung der Grundsteuer. Mehrbelastungen sind im ganzen Land weit verbreitet. Das hessische Nauheim ist ein besonders krasser Fall.

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          Immer mehr Kommunen drehen an der Grundsteuer. In Nauheim im hessischen Kreis Groß-Gerau hat man den Grundsteuer-Hebesatz im Juni rückwirkend zum Jahresbeginn von 320 auf 960 erhöht. Ein Betroffener klagte, dass er damit statt 250 Euro nun 750 Euro im Jahr zahlen muss, berichtet der Vorsitzende des hessischen Steuerzahlerbundes Joachim Papendick im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Mehr als die Hälfte der hessischen Städte und Gemeinden hat nach seinen Angaben Kommunalsteuern erhöht. Das bezieht sich nicht nur auf die Grundsteuer. „Sie ist aber oft dabei“, betont er. „Die Erhöhung der Grundsteuer ist für die Kommunen recht einfach, da Grundstücke im Gegensatz zu Unternehmern nicht weglaufen können.“

          Manfred Schäfers
          Wirtschaftskorrespondent in Berlin.

          Die Landespolitik ist nicht unschuldig an der Entwicklung. Wie Papendick erläutert, pocht das Innenministerium darauf, dass Kommunen mit einem nicht dauerhaften ausgeglichenen Haushalt die Grundsteuer auf 10 Prozent über dem Durchschnitt gleich großer Städte und Gemeinden anheben. Sonst werde ihr Haushalt nicht genehmigt. Die Städte und Gemeinden, die vom kommunalen Schutzschirm des Landes profitieren wollten, müssen eigene Anstrengungen zum Etatausgleich nachweisen. „Überprüfung der Realsteuerhebesätze (Grundsteuer A und B sowie der Gewerbesteuer) mit dem Ziel einer Erhöhung“, heißt es in dem Leitfaden aus Wiesbaden. Ausdrücklich wird darin eine Orientierung an den höchsten Hebesätzen verlangt. Bei der Gewerbesteuer, die von den lokal tätigen Unternehmen verlangt wird, ist aber der Einfluss auf die Standortqualität zu berücksichtigen.

          Die Grundsteuer A wird für land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen erhoben. Die Grundsteuer B gilt für die übrigen Grundstücke. Ihr Aufkommen ist mit bundesweit rund 12 Milliarden Euro deutlich höher als das der Grundsteuer A, die den Kommunen gerade einmal 400 Million Euro einbringt. Nach einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young haben 43 Prozent der Städte und Gemeinden seit 2010 mindestens einmal die Gewerbesteuer angehoben. In Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erhöhten sogar mehr als neun von zehn Kommunen mindestens einmal die Grundsteuer.

          Viele Ungerechtigkeiten sind die Folge

          Der Hebesatz ist der letzte Faktor für die Berechnung der Grundsteuer. Ausgangspunkt ist der sogenannte Einheitswert, der im Westen nach den Wertverhältnissen des Jahres 1964 ermittelt wird. Im Osten geht man sogar auf das Jahr 1935 zurück. Dieser Wert wird dann mit einem gesetzlich vorgeschriebenen Promillewert multipliziert. Im Osten ist dieser wegen der geringeren Einheitswerte höher als im Westen. Die sogenannte Steuermesszahl hängt aber auch von der Art der Immobilie selbst ab. Am Ende der Kette steht die Kommune, die mit dem Hebesatz die endgültige Höhe der Steuer bestimmt, deren Aufkommen ihr zusteht.

          Das Ergebnis des veralteten Verfahrens sind viele Ungerechtigkeiten. So hat der Bund der Steuerzahler die Fälle von zwei Mietern aus Berlin verglichen, beide wohnen in einer rund 70 Quadratmeter großen Wohnung. Über die Nebenkostenabrechnung zahlt der eine in Steglitz-Zehlendorf 392 Euro für die Grundsteuer, der andere in Berlin-Hellersdorf wird dagegen nur mit 219,73 Euro belastet.

          Die Länder ringen seit mehr als einem Jahrzehnt um eine Neuregelung der Grundsteuerberechnung. Es gibt das „Nordmodell“ (aktuelle Werte), das „Südmodell“ (pauschale Bewertung anhand der Flächen) und ein Kompromissmodell (Grundstück nach Bodenwert und Gebäude wertunabhängig). Weil man sich nicht einigen kann, sind Fiskus und Steuerzahler in einer Welt von gestern gefangen. Wertverschiebungen etwa infolge von Fluglärmbelastung oder S-Bahn-Anbindung werden ausgeblendet.

          Bemessung von Immobilienvermögen ist veraltet

          Der Bundesfinanzhof hat vor vier Jahren eine Reform der Grundsteuer verlangt. Bis Anfang 2007 sei die Einheitsbewertung zwar noch verfassungsgemäß, befand er. Das „weitere Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung des Grundvermögens“ sei jedoch mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes nicht vereinbar. Solche Urteile gelten als „Appellentscheidungen“, mit denen Gerichte den Gesetzgeber zum Handeln auffordern.

          In dem Münchner Entscheid hieß es weiter, es lasse sich nur noch eine „angemessene“ Zeit lang hinnehmen, dass die Bemessung von Immobilienvermögen noch immer auf dem Stand von 1964 festgeschrieben sei. Denn die inzwischen seit mehr als vier Jahrzehnten unveränderte Einheitsbewertung verfehle die Anforderungen an eine realitätsgerechte Bewertung. Der Bundesfinanzhof hält es außerdem nicht mehr für hinnehmbar, dass eine Wertminderung wegen des Alters einer Immobilie ausgeschlossen ist. Darüber hinaus führe das jahrzehntelange Unterlassen einer flächendeckenden Neubewertung zu nicht mehr hinnehmbaren Defiziten beim Gesetzesvollzug.

          Vermögenssteuer in anderen Ländern wichtiger

          Das Institut der deutschen Wirtschaft spricht sich für eine Reform nach dem „Bodenwertmodell“ aus. Dies sei unter den vier verschiedenen Konzepten der „klare Favorit“, meinen die Kölner Forscher. Hierbei wird die Steuer nur nach dem Bodenwert eines Grundstücks berechnet – unabhängig davon, ob es bebaut ist oder nicht. Weil nicht die Gebäude besteuert würden, seien Investitionen für Eigentümer attraktiver – etwa zur energetischen Modernisierung. Auch erhoffen sich die Ökonomen davon in einigen Ballungsgebieten eine bessere Ausnutzung von Brachflächen und Baulücken.

          Hinter dem sich hinziehenden Ringen um die neue Grundsteuer steht letztlich ein Glaubenskampf. Einige Länder wollen an der Wertermittlung unbedingt festhalten, um die Grundlage für eine Wiederbelebung der Vermögensteuer zu erhalten. Zur Begründung wird gerne auf das Ausland verwiesen, wo die Vermögensteuern wichtiger als hierzulande seien. Nach den Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist der Anteil der vermögensbezogenen Steuern am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland mit 0,9 Prozent nur halb sie hoch wie im OECD-Durchschnitt.

          Doch wie das Bundesfinanzministerium früher einmal ausführte, ist die Grundsteuer in angelsächsischen Ländern höher, weil damit öffentliche Leistungen wie die Abfallentsorgung finanziert werden. In Deutschland werden für solche Aufgaben Gebühren und Beiträge erhoben. Gleichwohl schlägt die OECD Deutschland vor, mit der Grundsteuer mehr Einnahmen zu erwirtschaften, „namentlich durch eine Aktualisierung der Wertansätze“. Doch sagt sie auch, dass der Spielraum für höhere Steuern durch Kommunalgebühren begrenzt ist. Bayern lehnt eine Erhebung nach den aktuellen Werten kategorisch ab. Es würde die Eigentümer und Mieter im Freistaat besonders treffen, da dort die Immobilienpreise in den vergangenen Jahrzehnten besonders stark gestiegen sind.

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