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Käufliche Bildung : Wie elitär sind private Schulen?

Staat hat kein Monopol auf Bildung und Erziehung

Was häufig übersehen wird: Der Staat hat zwar ein Gewaltmonopol für Polizei und Militär. Ein Monopol auf Bildung und Erziehung hat er nicht. Ausdrücklich heißt es in Artikel 7 Absatz 4 des Grundgesetzes: „Das Recht zur Errichtung privater Schulen wird gewährleistet.“ Konsequenterweise erhalten deshalb die privaten Schulen einen Finanzausgleich vom Staat, der je nach Bundesland im Schnitt bei zwei Dritteln der Kosten liegt, die der Schüler an einer staatlichen Schule verursachen würde. Um das restliche Drittel zu finanzieren und darüber hinaus weitere pädagogische Angebote (Musik, Sport) zu machen, erheben die Schulen zum Teil nicht unerhebliche Gebühren.

Manuela Schwesing (43), Ministerpräsidentin, mit Sohn Julian (10), Privatschüler
Manuela Schwesing (43), Ministerpräsidentin, mit Sohn Julian (10), Privatschüler : Bild: Imago

Über diese Gebühren tobt Streit. Denn das Grundgesetz schreibt vor, dass private Schulen nur gefördert werden dürfen, wenn dort „die Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Schüler nicht gefördert wird“. Der wenig gebräuchliche Begriff der „Sonderung“ ist Hinweis darauf, dass der Schulmarkt kein normaler Markt ist. Ob allerdings – wie das WZB meint – aus dem Sonderungsverbot folgt, dass die Privatschulen ein getreues soziales Spiegelbild der öffentlichen Schulen darstellen müssen und Gebühren über 160 Euro monatlich bereits unanständig sind, ist strittig. Ein im Auftrag der liberalen Naumann-Stiftung erstelltes Gegengutachten kommt zu dem Schluss, dass Privatschulen weder Vorgaben für die Höhe des durchschnittlichen Schulgeldes unterliegen noch eine bestimmte soziale Zusammensetzung der Schülerschaft einhalten müssen. Sie dürfen nur nicht nach dem Einkommen der Eltern diskriminieren.

Wettbewerb zwischen Privat und Öffentlich verbessert Schulsystem

Völlig unstrittig ist indessen in der bildungsökonomischen Forschung, dass Wettbewerb zwischen privaten und öffentlichen Schulen die Qualität eines Schulsystems insgesamt deutlich verbessert. Das schlägt sich regelmäßig in den Pisa-Ergebnissen nieder. Schade, dass Frau Schwesig es versäumt hat, zu dieser Evidenz zu greifen. Ein gutes Beispiel dafür ist ausgerechnet Schweden, ein Land, von dem die Deutschen immer noch denken, dass dort alles und jedes vom Volksheim geregelt sei. Doch Schweden hat schon seit mehr als zwanzig Jahren eines der liberalsten Schulsysteme der Welt. Es erinnert an das Gutscheinmodell, das der Ökonom Milton Friedman schon in den fünfziger Jahren vorgeschlagen hat: Jedes Kind erhält einen Voucher für seine Ausbildung, den es an der Schule einlösen kann, die ihm am besten gefällt. Die schwedischen Kinder bekommen zwar nicht direkt einen Gutschein ausgehändigt, aber sie können frei wählen, welche Schule ihnen und den Eltern am besten passt – und lenken dadurch das Geld des Staates dorthin. Das Ergebnis ist ein starker Wettbewerb der Schulen um die Schüler – und um die Qualität der Schulen, die zum Teil von privaten, am Profit orientierten Firmen unterhalten werden.

Bild: F.A.Z.

Auf gewisse Weise noch radikaler ist das Schulsystem in den Niederlanden. Dort besuchen drei Viertel aller Schülerinnen und Schüler privat geleitete Schulen, die traditionell meist in kirchlicher Trägerschaft sind. Gemäß der niederländischen Verfassung erhalten alle die gleiche staatliche Finanzierung, wodurch das Problem der „Sonderung“ durch unterschiedliche Gebühren vermieden wird. Auch hier bekommen die öffentlichen Schulen sofort zu spüren, dass die Eltern die Schüler abziehen, wenn die Lehrer keinen guten Unterricht machen.

Wilhelm vom Humboldt, der Bildungsreformer, würde sich, heute gefragt, wohl für das niederländische Modell entscheiden. „Überhaupt soll die Erziehung nur, ohne Rücksicht auf bestimmte, den Menschen zu erteilende bürgerliche Formen, Menschen bilden; so bedarf es des Staates nicht.“ Staatliche Bildung führe hingegen dazu, dass die Eltern die Verantwortung für die Aufzucht der Kinder an den Staat delegieren, wofür diese einen hohen Preis zahlen: Statt zu freien und gebildeten Menschen werden sie zu Staatsbürgern, zu Untertanen also, gemacht. Ungewöhnlich – selbst für Liberale, erst recht aber für deutsche staatsverliebte Hegelianer – ist daran, dass Humboldt offenkundig mit dem Begriff des Bürgers seine Schwierigkeiten hat: Der Bürger ist ein Mensch, der seine Freiheit dem Staat geopfert hat, somit einer, der sich anpasst. Besser also wäre es, der Staat hielte sich aus der Erziehung heraus. Denn nur so könne sich die Energie des Menschen in Freiheit entwickeln. Und der Mensch bliebe Mensch.

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