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Heimkosten : Reform bringt Pflegebedürftigen nur kurzzeitig Entlastung

In einem Pflegeheim in Hamburg Bild: dpa

Die Kosten für einen Platz im Pflegeheim sind hoch – und dürften entgegen den Beteuerungen der Bundesregierung perspektivisch weiter steigen, wie eine neue Untersuchung zeigt.

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          Die kurz vor der Sommerpause verabschiedete Pflegereform hatte zwei wesentliche Ziele: Sie sollte für eine bessere Bezahlung von Pflegekräften sorgen und zugleich für eine finanzielle Entlastung von Pflegeheimbewohnern und ihren Familien. Tatsächlich aber dürften die ohnehin schon hohen Heimkosten von zuletzt durchschnittlich 2125 Euro im Monat perspektivisch weiter steigen – und damit auch der Anteil der Pflegebedürftigen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Untersuchung des Bremer Pflegeökonomen Heinz Rothgang für die Krankenkasse DAK.

          Britta Beeger
          Redakteurin in der Wirtschaft und zuständig für „Die Lounge“.

          Anhand von Modellrechnungen zeigt die Studie, dass die aktuell rund 819.000 stationär versorgten Pflegebedürftigen in Deutschland durch die Reform nur kurzzeitig finanziell entlastet werden. Hintergrund ist, dass die Pflegekasse vom Jahr 2022 an einen Zuschuss zu den reinen Pflegekosten von zuletzt durchschnittlich 873 Euro im Monat zahlt: 5 Prozent im ersten Jahr, 25 Prozent im zweiten Jahr, 45 Prozent im dritten Jahr und danach 70 Prozent. Anders als ursprünglich vom Bundesgesundheitsministerium vorgesehen, werden die Eigenanteile, die die Bewohner für die Pflege zu zahlen haben, in ihrer Höhe aber nicht gedeckelt. Steigen die Kosten, steigen also auch die Eigenanteile – das Wachstum wird durch den Zuschuss lediglich gebremst. Hinzu kommen die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie eine Umlage für Investitionen.

          Die Kosten steigen

          Laut den Berechnungen für die DAK wird der Anteil der Pflegeheimbewohner, die auf die Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ angewiesen sind, in diesem Jahr zunächst auf 34,8 Prozent steigen und damit auf den höchsten Wert seit Einführung der sozialen Pflegeversicherung. Im kommenden Jahr dürfte er dann durch den finanziellen Zuschuss zunächst deutlich sinken, danach aber schnell wieder steigen.

          Denn die Reform von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sorgt auch für deutlich höhere Kosten, da die Heimträger verpflichtet werden, das Pflegepersonal nach Tariflohn zu bezahlen. Außerdem wurde ein bundeseinheitlicher Personalschlüssel vereinbart, der es den Heimen ermöglicht, weitere Pflegekräfte einzustellen. Und auch bis zu 13.000 Fachkraftstellen und bis zu 20.000 Hilfskraftstellen sollen künftig über den sogenannten Pflegesatz fi­nanziert werden, der sich auf die Eigenanteile der Bewohner auswirkt.

          Die Folge: Schon 2024, zwei Jahre nach Einführung der Leistungszuschläge, wird die Sozialhilfequote aus dem Jahr 2019 wieder überschritten – die, wie Pflegeökonom Rothgang schreibt, von der Politik als zu hoch bewertet wurde und einen wesentlichen Anstoß zu der Reform gegeben habe. Parallel dazu dürften seiner Analyse nach die Eigenanteile Anfang kommenden Jahres kurzzeitig sinken, in ihrer absoluten Höhe im Zeitverlauf aber steigen. Die finanzielle Gesamtbelastung der Pflegebedürftigen nehme durch die Reform letztlich zu, resümiert der Autor. Entlastet würden lediglich die Sozialhilfeträger, also die Kommunen.

          DAK-Chef: Entwicklungen alarmierend

          DAK-Vorstandschef Andreas Storm zeigte sich angesichts der Ergebnisse besorgt. „Die Entwicklungen in der Pflegeversicherung sind alarmierend“, sagte er. Die Pflegeversicherung könne trotz der jüngsten Reform ihren eigenen Anspruch, pflegebedingte Sozialhilfeabhängigkeit zu verhindern, „zunehmend weniger erfüllen“. Ge­zielte Vorsorge sei weiterhin nicht möglich, weil niemand vorhersagen könne, wie hoch die Eigenanteile künftig ausfallen. Storm mahnte, die künftige Bundesregierung müsse in der ersten Hälfte der kommenden Wahlperiode eine grundlegende Re­form auf den Weg bringen.

          Auch der Verband der Ersatzkassen hatte sich kürzlich besorgt über die steigenden Heimkosten geäußert. Vorstandschefin Ulrike Elsner sagte, wenn sich die Entwicklung fortsetze, „werden immer mehr Menschen auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sein, weil sie die Kosten nicht mehr selbst aufbringen können“. Es gelte, Pflegebedürftige spürbar zu entlasten und die Finanzierung langfristig zu sichern.

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