Paul Nolte im Gespräch : „Die FDP hat kein Programm für breite Schichten“
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Paul Nolte ist Professor für Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin Bild: Julia Zimmermann
Die Partei der Liberalen kämpft ums Überleben. In Umfragen liegt die FDP derzeit bei nicht einmal 3 Prozent. Der Historiker Paul Nolte skizziert, warum der FDP-Liberalismus heute so erschöpft wirkt.
Herr Professor Nolte, scheitert die FDP, weil ein wirtschaftsliberales Programm heute keine Wähler mehr findet?
In Deutschland vergehen Parteien nicht so leicht, aber die Zukunft der FDP macht Sorge. Der klassische Liberalismus hat die Freiheit als wirtschaftliche Marktfreiheit einerseits, als persönliche und politische Freiheit andererseits verknüpft - nein, als Einheit gesehen, als zwei Seiten derselben Medaille. Spannungsfrei war diese Verbindung zwar schon im 19. Jahrhundert nicht. Heute ist sie in ihrer Substanz schwer bedroht, sie erodiert rapide. Dass beide Dimensionen zusammengehören, leuchtet heute einem immer kleineren Teil der Bevölkerung ein. Das hat mit sozialen Veränderungen, mit Wertewandel zu tun. Unter Freiheit verstehen heute immer weniger Menschen eine Freiheit am Markt, weil das mit ihrer Lebenswirklichkeit scheinbar nichts mehr zu tun hat. Im Gegenteil, sie erscheint als fremd und bedrohlich. Der Lebensunterhalt kommt immer häufiger vom Staat; und das eigene Handeln, das eigene Geldausgeben und Geldanlegen wird nicht als Marktaktivität begriffen.
Seit der Finanzkrise kommt die Forderung nach Deregulierung nicht mehr gut an, viele wünschen sich mehr Regulierung. Der Staat hat außerdem hohe Schulden, sind da Steuersenkungen nicht ein utopisches Ziel?
Ja, zu hohe Steuern sind derzeit nicht unser Problem, wohl aber drückende öffentliche Zinslasten und Investitionsrückstände der öffentlichen Infrastrukturen.
Es gibt auch Kritiker, die sagen, die FDP trage marktwirtschaftliche Sprüche vor, sie verletze aber regelmäßig ihre Prinzipien und betreibe Klientelpolitik, Stichwort Steuerrabatt für Hotels.
Man sollte auf den Hoteliers nicht ewig rumreiten, aber im größeren Sinne war diese unglückliche Geschichte schon bezeichnend. Die FDP ist auf der Suche nach Bevölkerungsgruppen, die sie noch unterstützen, und hat ihre Wahrnehmung dabei manchmal auf Interessengruppen enggeführt. In der Wirklichkeit wie in der Wahrnehmung ist sie zeitweise sehr klar zur Partei der Selbständigen geworden: Sie gilt dann als die Anwälte-, die Zahnärzte- oder Apotheker-Partei. Die Quote der Selbständigen an der Erwerbsbevölkerung hat sich nach einem hundertjährigen Schwund zwar stabilisiert, aber Deutschland ist seit langem eine Gesellschaft der Lohnabhängigen. Die FDP hat sich in der politischen Wirklichkeit und mehr noch in ihrem Image zu sehr auf die wirtschaftsaffinen Gruppen konzentriert anstatt sich zu verbreitern und zu fragen: Was kann ein Programm des Liberalismus sein, das breitere Schichten anspricht, ohne die wirtschaftsliberale Identität zu verleugnen?
Im Führungspersonal der FDP findet man eher wenig profilierte Selbständige und freie Unternehmer. Selbst Parteichef Philipp Rösler war als Arzt bei der Bundeswehr angestellt.
Ja, es gibt einen Mangel an Unternehmern in der Politik. Die stellen sich zu selten der Politik zur Verfügung. Unter den Selbständigen sind es am ehesten noch Rechtsanwälte, das ist ein Berufsstand, der politikaffin ist und sein Geschäft relativ leicht ruhen lassen kann. Unternehmer fühlen sich im Vorfeld der Politik wohler - das führt wiederum in die verbreitete Wahrnehmung übermächtiger Lobbyeinflüsse.
Im Bundestag sitzen recht wenig Selbständige, dafür umso mehr Beamte - etwa 30 Prozent der Abgeordneten - und auch viele Gewerkschaftsmitglieder und Funktionäre. Selbständige stellen nur knapp 10 Prozent der Abgeordneten, hinzu kommen noch etwas mehr Freiberufler wie die genannten Rechtsanwälte und andere. Warum ist es in Deutschland für Unternehmer so wenig attraktiv, in die Politik zu gehen?