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Delaware : Amerikas eigene Steueroase

Alles unter einem flachen Dach: Der Firmensitz „1209 North Orange Street in Wilmington, Delaware“ Bild: Winand von Petersdorff

Der amerikanische Bundesstaat Delaware ist bekannt für seine Briefkastenfirmen. Was passiert eigentlich, wenn man am Sitz von 285.000 Unternehmen klingelt?

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          In den Panama-Papieren ist bisher kein prominenter Amerikaner aufgetaucht. Eine Erklärung dafür lautet, dass eine Exkursion nach Mittelamerika nicht nötig scheint, liegt das Gute doch so nahe: im Bundesstaat Delaware zum Beispiel, speziell in Wilmington, der mit 72.000 Einwohnern größten Stadt des mit knapp einer Million Bürgern nicht allzu großen Bundesstaates. Verdachtsmomente gegen Wilmington kommen allein deshalb auf, weil wohl niemand freiwillig in diese Stadt käme, wenn er hier nicht dringende Geschäfte zu erledigen hätte oder vielleicht noch Verwandte besuchen müsste.

          Winand von Petersdorff-Campen
          Wirtschaftskorrespondent in Washington.

          Die Stadt ist von einer eher schäbigen Durchschnittlichkeit. Die Ausnahme bildet das gepflegte Geschäfts- und Finanzviertel. Versicherungen und Banken haben hier große Bürotürme errichtet. Dann gibt es noch einige Hochhäuser, die gar kein Firmenschild tragen. Dazwischen stehen bemerkenswert viele Parkhäuser, die einem zügiges Her- und Wegkommen erlauben – und überwachtes Parken, wonach offenbar Nachfrage herrscht. Letztes Jahr wurde in Wilmington im Schnitt an jedem Tag ein Auto geklaut.

          Die Stadt der Briefkasten-Firmen

          Wilmington ist keine anheimelnde Stadt. Wer sich nur einen Kilometer vom Finanzviertel weg bewegt, wittert Armut. Im Supermarkt Fresh Grocer zahlt die Kundin in der Schlange vor dem Reporter mit staatlichen Essenmarken. Kein Weißer verliert sich hierher. Wenn Wilmington eine Steueroase ist, was die Regierung vehement bestreitet, dann keine mondäne. Viel Geld bleibt nicht kleben, zumindest nicht so, dass man es den Vierteln dieser derben Stadt ansehen könnte.

          Für 2015 notiert die öffentliche Datenbank 131 Schießereien, bei der 151 Menschen verletzt und 26 erschossen wurden. Die Zeitschrift „Newsweek“ hat Wilmington/Delaware 2014 in einem Bericht Amerikas Mörderhauptstadt getauft, was einen Aufschrei der Empörung unter den braven Bürgern provozierte. Dieser Erregungsgrad wurde nur noch übertroffen, als Ende vergangenen Jahres Überlegungen des Fernsehsenders ABC publik wurden, die Stadt zum Schauplatz eines Fernsehdramas mit dem Titel „Murder Town“ werden zu lassen, im dem die Hauptfigur, eine schwarze Staatsanwältin, für Gerechtigkeit kämpft. Da gaben 20 religiöse Führer der Stadt eine Pressekonferenz, um ihre tiefempfundene Ablehnung des Film-Projektes klarzumachen. Welche Prüfungen will der Herrgott dieser Stadt noch auferlegen?

          Wilmington ist die Stadt der Briefkasten-Firmen, einige hunderttausend sind hier registriert. Der ganze Bundesstaat Delaware hat nach Angaben des Zensus knapp eine Million Einwohner, aber etwas mehr als eine Million hier gemeldete Unternehmen. Die Regierung des Bundesstaates meldet in werbender Absicht, dass 65 Prozent der im Börsenindex Fortune 500 notierten Unternehmen ihren rechtlichen Sitz in Delaware haben, in der Regel aber nicht ihre Firmenzentrale.

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          Größter Freund der Unternehmer

          Daran ist im Prinzip nichts Verwerfliches. Der Bundestaat hat sich in 200 Jahren eine besondere Reputation im Wirtschaftsrecht angeeignet, ein eigenes Gesellschaftsrecht entwickelt und eine – einzigartig in Amerika – eigene für Wirtschaftsfragen zuständige Gerichtsbarkeit aufgebaut, in der allein eine Jury aus Fachjuristen die Urteile zügig spricht. In anderen Bundesstaaten müsse man lange auf sein Urteil warten, und wenn man Pech hat, fällt ein Verkehrsrichter den Spruch, schreibt Jennifer Reuting, Unternehmerin und Autorin des Buches „Limited Liability Companies for Dummies“, was grob übersetzt heißt: „GmbHs für Blödmänner“. In Delaware dagegen finden die Unternehmer zudem ein umfassendes Netz an Wirtschaftsjuristen, das ihnen beisteht.

          Der größte Freund der Unternehmer ist aber die Regierung des Bundesstaates: Sie hat eine eigene Abteilung für Firmen, die auf der Regierungs-Website so beschrieben wird: „Sie wurde eingerichtet, um Unternehmen und ihren Beratern auf schnelle und effiziente Weise Dienstleistungen zu erbringen. Der Staat Delaware bezieht einen erheblichen Anteil seines Umsatzes aus Unternehmensgründungen und nimmt diese Rolle daher sehr ernst. Die Mitarbeiter der Division of Corporations sehen sich selbst als Dienstleister.“ Hier endet das Zitat. Die Absicht dieser Botschaft ist klar: Diese Dienstleistungsorientierung sei es, die Delaware so sexy für Firmen mache, und nicht etwa das laxe Steuerrecht.

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