Flexi-Rente : Warum die Deutschen so früh in Rente gehen
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Mit den Enkeln an den Strand? Die Zeit dafür subventioniert der Staat. Bild: dpa
Wenn die Deutschen nicht pünktlich in Rente gehen wollen, können sie länger arbeiten – aber kaum einer tut es. Ein Experiment von Universität Mannheim und F.A.Z. zeigt Gründe dafür.
Deutschlands Rente ist auf die kommenden Jahrzehnte noch nicht richtig vorbereitet. Zwar arbeiten immer mehr über-60-Jährige, statt in Rente zu gehen – doch das reicht noch lange nicht, wie die Industrieländer-Organisation OECD in einem neuen Bericht vorrechnet.
In drei Jahren gehen die ersten Babyboomer in die reguläre Rente, danach verabschieden sich immer bevölkerungsstärkere Jahrgänge in den Ruhestand. Auch die Zuwanderung junger Migranten kann das auf absehbare Zeit nicht ausgleichen. In einigen Berufen fehlt es heute schon an Nachwuchs, auch die Rentenbeiträge müssen steigen. „Die schnelle Alterung wird die finanzielle Nachhaltigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung in Frage stellen.“
Dabei nennt die OECD schon einen Weg, wie die Bundesregierung die Deutschen dazu bewegen will, länger zu arbeiten: Die Flexi-Rente erhöht die Rente um sechs Prozent für jedes Jahr, in dem ein Versicherter länger arbeitet – plus um einen weiteren Betrag, wenn der Versicherte in dieser Zeit noch Rentenbeiträge zahlt. Doch das Gesetz sieht auch vor, dass die Deutschen früher in Rente gehen, Abschläge in Kauf nehmen und mehr dazuverdienen können als zuvor – und dafür wird es derzeit hauptsächlich genutzt, wie die OECD bemängelt. Dabei sind die Zuschläge fürs Längerarbeiten schon doppelt so hoch wie die Abschläge für die Frührente. Das klingt, als würde Deutschland da schon hohe Anreize setzen.
Längere Arbeit wird teuer für den Staat
Doch das stimmt nicht unbedingt, wie eine Studie zeigt, die die Universität Mannheim zusammen mit der F.A.Z. gemacht hat. Sicher: Wer länger arbeiten will, muss in vielen Fällen erst mal das automatische Enddatum aus dem Arbeitsvertrag hinausverhandeln oder eine andere Arbeit suchen. Doch die Studie zeigt noch einen wichtigen Grund.
Mehr als 3000 F.A.Z.-Leser wurden gefragt, unter welchen Bedingungen sie wie in Rente gehen würden. Zudem hat die Universität die Ergebnisse mit einer kleineren und einfacheren Umfrage verglichen, die für die Bevölkerung repräsentativ ist. Beide Male wurden Leute außen vor gelassen, die schon in Rente waren. Die F.A.Z.-Leser in dieser Umfrage waren durchschnittlich sieben Jahre jünger und viel gebildeter als die deutsche Bevölkerung, das Ergebnis war allerdings beide Male das gleiche: Wer später in Rente gehen soll, verlangt viel mehr Geld – so haben es die Finanzforscher Christoph Merkle, Philipp Schreiber und Martin Weber analysiert.
Immer fragten die Forscher, ob die Leute lieber mit 63 oder mit 67 Jahren in Rente gehen würden und wie hoch der Rentenunterschied dafür sein müsste. Die Hälfte der Leute aber wurde gefragt, ob sie mit 67 Jahren in Rente gehen würden und welche Abschläge sie hinnehmen würden, um vier Jahre früher zu gehen. Die andere Hälfte wurde gefragt, ob sie mit 63 Jahren in Rente gehen würden und wie weit die Rente steigen müsste, damit sie erst vier Jahre später gehen.
Allein dieser Unterschied in der Frage änderte die Antworten fundamental: Wenn sie „früher“ in Rente gehen würden, würden sie für die vier Jahre einen Rentenunterschied von durchschnittlich 327 Euro im Monat für angemessen halten. Wenn es aber darum geht, „später“ in Rente zu gehen, sind die vier Jahre in ihren Augen plötzlich 764 Euro wert – ziemlich genau das Doppelte.
Früher in Rente zu gehen, lohnt sich
Es ist, als hätte die Rentenversicherung diese Ergebnisse gekannt. Sie verteilt schon ziemlich genau das Doppelte an Menschen, die später in Rente gehen. Wer nach dem Renteneintritt noch mit 20 weiteren Lebensjahren rechnet, macht mit dem Rentenaufschlag Gewinn im Vergleich zur Standardrente. Dabei sind 20 Jahre heute durchaus realistisch. Doch wer richtig rechnet, kommt noch auf ein anderes Ergebnis: Wer noch 20 Jahre lebt, kann auch ein Jahr früher in Rente gehen. Das bringt eine ganze Jahresrente plus Zinsen, kostet in den Folgejahren aber nur 60 Prozent einer Jahresrente – ein gutes Geschäft.
Die Studienautoren empfehlen dem Staat, schon mal die Rentenauskunft neutraler zu gestalten und die Deutschen besser über Zu- und Abschläge zur Rente zu informieren. Später in Rente zu gehen – darüber steht auf dem Brief überhaupt nichts. Doch die Ergebnisse der Studie legen noch etwas anderes nahe: Vielleicht müsste der Rentenabschlag für Frührentner noch kräftiger werden.