Petition für Netzneutralität : Worum es im Streit um die Internettarife geht
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Internetaktivisten haben vor der Telekom-Hauptversammlung demonstriert Bild: dpa
Die Telekom hat gerade das Internet für Vielnutzer verteuert. Kritiker warnen vor dem Ende der Netzneutralität - und haben knapp 70.000 Unterschriften für eine Petition gesammelt. Ein Überblick.
Von null auf fast 70.000 Unterschriften in nicht einmal einer Woche: Das ist die Erfolgsbilanz der Online-Petition mit der schnöden Nummer 41906. Innerhalb von sieben Tagen unterzeichneten 69.056 Menschen die Petition aus der Sparte Wirtschaftspolitik mit dem Titel „Verpflichtung der Internetanbieter zur Netzneutralität“. Nur wenige Petitionen haben in so kurzer Zeit so viele Unterschriften erreicht.
Und das, obwohl es um ein sperriges Thema geht: „Der Deutsche Bundestag möge ein Gesetz beschließen, das Internetanbieter (Provider) verpflichtet, alle Datenpakete von Nutzern unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Herkunft gleich zu behandeln“, heißt es im Petitionstext. „Insbesondere sollen keine Inhalte, Dienste oder Dienstanbieter durch diese Provider benachteiligt, künstlich verlangsamt oder gar blockiert werden dürfen.“ Auch wenn der Forderungstext das Unternehmen Deutsche Telekom nicht ausdrücklich beim Namen nennt, schwebt über ihm doch eine Ankündigung der Telekom aus dem April mit.
Das Unternehmen hatte damals eine neue Tarifstruktur für das Festnetzinternet präsentiert. Je nach Übertragungsgeschwindigkeit des gewählten Tarifs setzt die Telekom seit Anfang Mai neuen Kunden zumindest in den Tarifbedingungen schriftlich Grenzen, was das übertragene Datenvolumen betrifft. So will sie im langsamsten Tarif ab einer Datenmenge von 75 Gigabyte im Monat die Übertragungsgeschwindigkeiten auf Vor-DSL-Zeiten herunter regeln. Wer vor dem Monatsende mehr verbraucht hat, muss entweder mehr zahlen oder sieht sich einer quälend langsamen Internetgeschwindigkeit gegenüber. Allerdings wird die Telekom die Drosselung voraussichtlich nicht vor dem Jahre 2016 umsetzen.
Eigene Dienste sind ausgenommen
Johannes Scheller, dem Initiator der Petition, geht es wie auch anderen Netzaktivisten aber weniger um die Bremse als vielmehr um das Prinzip der Netzneutralität: Egal, was Nutzer über das Internet versenden, alles soll gleich behandelt werden - ob es nun eine E-Mail mit Urlaubsfotos ist oder das Musikvideo eines Drittanbieters wie der Internetplattform Youtube, die zum amerikanischen Suchmaschinenkonzern Google gehört. Grundlage ist das „Best-Effort-Prinzip“: Sollten die Kapazitäten eines Netzes ausgeschöpft sein, entscheidet allein der Zeitpunkt, welche Daten zuerst abtransportiert werden. Inhalt oder Größe der Dateien spielen dagegen keine Rolle.
Netzaktivisten sehen nun in der Initiative der Telekom einen Angriff auf die Freiheit des Internets, weil dadurch einem Teilnehmer die Macht in die Hand gegeben werde, Daten zu kategorisieren und diejenigen Nutzer oder auch Internetdienste zu beschneiden, die nicht für den Transport von Daten mehr bezahlen wollen. Denn die Netzdrosselung sieht auch vor, dass Dienste sich von der Sperre freikaufen können. Außerdem nimmt die Telekom einen eigenen Dienst wie das Internetfernsehen Entertain oder Partnerdienste wie den Musikstreaming-Anbieter Spotify von der Bremse aus.
Dadurch werde mit der Übertragungsgeschwindigkeit auch die Innovationskraft des Internets ausgebremst, entgegnen die Netzaktivisten. Außerdem entstehe quasi unter der Hand eine Möglichkeit, Inhalte zu zensieren, denn um Datenpakete nach Datenart zu sortieren würde ein tieferer Blick in die Daten notwendig (“Deep Packet Inspection“).
Netzaktivisten werfen Telekom Milliardengewinne vor
Die Telekom und wohl auch andere, bisher schweigende Internetanbieter argumentieren dagegen, dass sich über neue Internetdienste wie Videoportale, Mediatheken, Online-Videotheken oder Dienste, die Echtzeitabruf von Musik ermöglichen, das Datenvolumen innerhalb kürzester Zeit schnell erhöht habe. Nach Angaben des Netzwerkausrüsters Cisco wird sich der jährliche Datenverkehr bis zum Jahr 2016 vervierfachen, auf 1,3 Zettabyte im Jahr - eine Zahl mit 21 Nullen. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Nutzer wenig Datenvolumen verbraucht und eine Minderheit sehr viel. Nach Angaben der Beratungsgesellschaft Booz&Company erzeugen im Schnitt 5 Prozent der stärksten Datennutzer 75 Prozent des Datenvolumens eines Anbieters.
„Ohne massive zusätzliche Investitionen ist in Westeuropa das Limit der bestehenden Netze bereits in zwei Jahren erreicht“, rechnet Roman Friedrich von der Booz&Company vor. Die notwendigen Investitionen der Netzanbieter taxieren Experten auf mindestens 30 und bis zu 80 Milliarden Euro. Und mit Tarifstrukturen wie derjenigen der Telekom, in denen starke Nutzer mehr zahlen, wollen Internetanbieter das notwendige Geld für den Netzausbau aufbringen.
Doch auch darum gibt es Streit. Die Telekom hat im vergangenen Jahr einen bereinigten Konzernüberschuss von 2,5 Milliarden Euro ausgewiesen. Für die Internetaktivisten offenbar genug, um auch Investitionen zu stemmen. „Unser Internet wird also nicht funktional kaputtgemacht, weil es sonst überlastet zusammenbrechen würde“, heißt es auf der Aktionsplattform Netzpolitik.org: „Sondern nur, weil der Telekom Milliardengewinne nicht ausreichen.“
Wohl Anfang Juni wird der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages sich mit der Petition zur Netzneutralität befassen. Dann wird das Ringen in eine neue Runde gehen. Ob sich der Bundestag allerdings noch vor der Wahl im September tatsächlich mit einem Gesetz zur Netzneutralität befassen wird, ist offen.