Ehemaliger Geheimdienstchef : „Das Silicon Valley ist zentral im Kampf gegen den Terror“
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Propaganda der Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Internet. Wie können solche Nährböden für Terror ausgetrocknet werden? Bild: dpa
Welche Rolle spielt das Internet für die Entstehung und Verbreitung von Terrorismus? Die Debatte tobt nicht erst sei dem jüngsten Anschlag in London. Ein früherer britischer Geheimdienstler erklärt, worum es geht. Und wem er eine Lösung zutraut.
Wie können schreckliche Terroranschläge, wie sie nun London und zuvor schon Manchester heimgesucht haben, wirksam verhindert werden? Die Diskussion hat viele Facetten. In Großbritannien selbst ist zwei Tage vor den wichtigen Unterhauswahlen ein Thema, ob Polizei und Geheimdienste über genügend Ressourcen verfügen – nachdem in den vergangenen Jahren Tausende Stellen gerade bei der Polizei gestrichen worden sind.
Eine andere wichtige Frage lautet, welche Rolle das Internet bei der Verbreitung und Organisation von Terror spielt. Die britische Premierministerin Theresa May sagte kurz nach dem Anschlag, dass das Internet ein „sicherer Platz“ für die „teuflische Ideologie des islamischen Extremismus“ sei. Sie wolle sich nun (mehr als zuvor) dafür einsetzen, dass demokratische Staaten rund um die Welt gemeinsam neue Regeln für den Cyberspace vereinbaren, die Terror-Verbreitung entgegenwirken. Internetunternehmen haben bereits mit Stellungsnahmen reagiert auf die jüngsten Anschläge. Facebook, das ungefähr 2 Milliarden Menschen auf der Welt regelmäßig nutzen, teilte mit, es wolle eine „feindliche Umgebung“ für Terroristen sein.
„Digitale und reale Welt sind nicht getrennt“
Eine sehr gute Struktur in die Diskussion über die Rolle des Internets hat nun Robert Hannigan gebracht. Er ist ein früherer Direktor des britischen Geheimdienstes GCHQ, der besonders auf diesem Feld engagiert ist. „Technologie ist moralisch neutral, aber diejenigen, die sie bereitstellen oder anwenden, sind es nicht“, schreibt er in einem Beitrag für die „Financial Times“: „Die digitale und die ,reale' Welt sind nicht separat, sie sind dieselbe. Wenn wir die Freiheit des Internets erhalten wollen (...), müssen wir dieser Herausforderung gerecht werden“.
Er selbst teilt die Kritik am Netz in zwei Bereiche ein. Erstens erleichtert es die Kommunikation zwischen Terroristen durch verschlüsselte Nachrichten. Zweitens ermöglicht es, radikale Propaganda zu verbreiten, indem es Platz bietet für extremistisches Material.
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Zum AngebotIm ersten Fall handelt es sich um eine technische Angelegenheit, und Hannigan schreibt klar und deutlich: „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, in der nur der Nutzer den Schlüssel hat, und weder der Diensteanbieter noch Strafverfolger den Inhalt lesen können, wird bleiben. Die Erfindung kann nicht rückgängig gemacht werden, und diejenigen von uns, die auf Cybersicherheit fokussiert sind, würden auch nicht wollen, dass Verschlüsselung abgeschwächt wird, selbst wenn das möglich wäre.“ Gleichwohl gebe es aber Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, dass Terroristen und Kriminelle Verschlüsselung missbrauchen für ihre Zwecke – „durch private Kooperationen, innerhalb des Gesetzes, zwischen Unternehmen und Behörden. Diese Zusammenarbeit hat sich deutlich verbessert, auch wenn das noch weitergehen muss“.
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„Videos von gequälten Kindern“
Mehr Gewicht räumt Hannigan seinem zweiten Punkt ein, der Verbreitung extremistischer Propaganda und überhaupt der Möglichkeit, für solche Inhalte Platz zu finden im Netz. „Wir sollten klar über das sein, was wir verlangen,“ schreibt der ehemalige Geheimdienst-Direktor: „Es geht nicht darum, die Freiheit der Rede zu unterdrücken. Der Westen gewann den ideologischen Kampf gegen den totalitären Kommunismus nicht, indem er ihn nie diskutierte. (...) Aber diejenigen, die versuchen, die Ideen von Terrorgruppen zu kontern, fühlen sich oft so, als würden sie gegen eine Welle von Material kämpfen, das produziert wurde von gut ausgestatteten Organisationen, die strategische Kommunikation besser verstehen als der Westen.“ Und weiter und ebenso deutlich: „Sie fühlen sich, als ob die Offenheit des Internets und seine wirtschaftlichen Gegebenheiten, die (...) auf dem Volumen von „Klicks“ auf sensationellem oder groteskem Material basieren, gegen sie verwendet werden.“
Von verurteilten Terroristen sei beispielsweise bekannt, wie stark der Effekt brutaler Videos auf sie gewesen ist. „Videos von Gefangenen, die angezündet oder ertränkt werden, von Kindern, die vor ihren Eltern gequält werden oder von Bildern, welche die Greuel in London oder Paris glorifizieren.“
Während es in Mode gekommen sei, dafür die Technologieunternehmen zu kritisieren, würden solche Bilder wahrscheinlicher auf Videoseiten gefunden, die nicht allgemein bekannt sind, auf Nachrichtenseiten oder „sogar akademischen Diensten“. Hannigan gibt zu, dass es immer „versteckte Seiten“ oder „dunkle Räume“ geben werde, auf denen Fanatiker solches Material finden werden – „das ist der Grund, aus dem wir Strafverfolger und Geheimdienste haben“.
Der Politik und Gesellschaft müsse es vor allem darum gehen, die Inhalte sozusagen aus dem Mainstream des Internets zu verbannen. Wie das am besten erreicht werden kann? Hannigan setzt vor allem auf eine „erfahrene, praxisnahe Koalition, angeführt und ausgestattet vom Silicon Valley, die Fortschritte gemacht hat, aber sich nun beschleunigen muss, und von den globalen Online-Werbeanbietern, die zu langsam gewesen sind, gründlich anzuschauen, was ihre Werbung unterstützt“. Diese Koalition solle sich dann auf Regeln einigen für das, was akzeptabel ist, und dabei mit demokratischen Regierungen und der Zivilgesellschaft zusammen arbeiten. „Sie sollte Technik und menschliche Arbeitskraft einsetzen, um Material schnell zu beseitigen und die anbietenden Seiten zu isolieren. Sie sollte keine Angst davor haben, eigene Einschätzungen umzusetzen, und sie sollte nicht auf Gesetzgebung, Gerichte oder vorgeschlagene Strafen warten, die unausweichlich langsam und stumpf sein werden.“