Neid-Debatte : Die Doppelmoral gegenüber Reichen
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Edel-Champagner Moët & Chandon: Die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft zahlen die Hälfte des Steueraufkommens. Bild: dpa
Fast jeder Deutsche möchte gerne reich sein. Dennoch sind Wohlhabende hierzulande nicht wohlgelitten. Dabei würden mehr Reiche dem Land durchaus gut tun.
Etwa 20 Millionen Deutsche spielen in der Woche Lotto und geben dafür viel Geld aus. Und dies nur aus einem einzigen Grund: ohne eigene Leistung reich zu werden. Um ihr Leben finanziell ohne Sorgen zu bestreiten, die lange Zeit gewünschte Traumreise anzutreten, sich ein Auto je nach Geschmack mit viel PS oder Elektroantrieb sowie hochwertige Lebensmittel zu kaufen, den Kindern ein Smartphone zu gönnen und sie auf eine gute Privatschule zu schicken.
Das Paradoxe daran: Viele Deutsche möchten also gerne reich sein, und dennoch sind Reiche, die sich solche Wünsche erfüllen können, nicht wohlgelitten. Sie werden mitunter beschimpft als Nachkommen der Manchester-Kapitalisten, die den Menschen nicht den verdienten Mindestlohn gönnen wollen, oder auch als Schmarotzer, die von der Gesellschaft leben, ihre Gewinne behalten und Verluste auf den Steuerzahler abladen.
Dazu ein paar Fakten: Rund die Hälfte der Steuern aus Lohn und Einkommen in Höhe von 201 Milliarden Euro im Jahr 2013 zahlten die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft. Etwa 40 Prozent der Bürger, der ärmere Teil des Volkes, zahlten keine Einkommensteuer. Und auch wenn es immer wieder Berichte gibt, wie Amazon und andere amerikanische Technologie-Konzerne Steuern vermeiden: Deutsche Unternehmen können ihre Steuerlast mit legalen Tricksereien kaum mindern. Im Jahr 2012 zahlten sie fast 112 Milliarden Euro Steuern. Die Besitzer dieser meist mittelständischen Betriebe sind die Reichen, die Arbeitsplätze schaffen und darüber hinaus oft Geld für wohltätige Zwecke spenden.
Die Umverteiler ziehen alle Register
Dennoch ist die Wahrnehmung in Deutschland eine andere. Das ständige Trommeln von Linkspartei, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften gegen jeden, der mehr hat als man selbst, zeigt langsam Wirkung, wenn auch noch nicht übersetzt in Gesetze. Die Grünen, und mit ihnen viele in der SPD, scheinen per se dem Reichtum und den Reichen zu misstrauen. Die Steuerpläne von Rot-Grün für den Bundestagswahlkampf des vergangenen Jahres waren getrieben von der Vorstellung, dass eine Elite sich ihrer Verantwortung für das Gemeinwesen entzieht. Im Namen einer selbstdefinierten sozialen Gerechtigkeit werden von Umverteilern alle Register dagegen gezogen – von der Reichensteuer über die Vermögensteuer bis hin zur Erbschaftsteuer.
Und viele Bürger stimmen zu: Je nach Umfrage ist die Mehrheit bis zu drei Viertel der Deutschen dafür, den Mitbürgern mit einem „höheren Einkommen“ mehr Geld abzuknöpfen. Und nach Zahlen des „Sparerkompass 2014“ des Forsa-Instituts sprechen sich 25 Prozent der Befragten für eine zehnprozentige Abgabe auf Vermögen von mehr als 250.000 Euro aus. Wie großzügig.
Die Wut über exzessive Managergehälter einiger weniger Individuen und einige scheinheilige Steuersünder mischt sich mit dem dumpfen Verdacht, dass „hinter jedem Vermögen ein Verbrechen“ stehen könnte, wie es der Schriftsteller Honoré de Balzac ausgedrückt hat. Natürlich haben manche Reiche mit ihrem kritikwürdigen Verhalten und ihrer herablassenden Attitüde zu der aktuellen Stimmung beigetragen. Allerdings sind diese wenigen im Kreis der vielen Vermögenden – in Deutschland gibt es etwa 950000 Millionäre und 100 Milliardäre – nur eine verschwindend kleine Minderheit.
Dabei würden nicht nur Deutschland mehr reiche Leute gut tun. Je mehr Geld die Leute mit rechten Dingen verdienen, desto höher fallen die Steuern für den Staat aus; je mehr Unternehmen gegründet werden, desto höher ist das Aufkommen des Staates aus einem Teil des Betriebsgewinns. Je innovativer und damit wahrscheinlich auch reicher der Einzelne, desto fortschrittlicher ist der Staat. Der Konservative Boris Johnson bekannte sich vor kurzum in einer Rede zu einem Glaubenssatz, der in kontinentaleuropäischen Ohren fast ungeheuerlich klingt: „Ich glaube nicht, dass ökonomische Gleichheit möglich ist, ein Maß an Ungleichheit ist unabdingbar für den Geist des Neides, der, wie die Gier, ein wertvoller Ansporn ist für ökonomische Aktivität“. Man muss nicht gleich so weit gehen wie der Bürgermeister von London: Wer aber als Bürger unzufrieden mit dem materiellen Zustand seines Leben ist, der sollte etwas dagegen tun. Mehr Einsatz, um rascher befördert zu werden, eine neue Sprache nach der Arbeit lernen oder sich anderweitig fortbilden, um einen besser bezahlten Job zu bekommen. Oder eine Firma gründen. Das sind die Rezepte für einen finanziellen und gesellschaftlichen Aufstieg.
Genau wie die meisten Reichen es getan haben: Denn fast alle haben für ihr hohes Einkommen hart gearbeitet. Und selbst Erben, die das Unternehmen ihres Vaters lenken, schuften oft bis zum Umfallen. Anwälte, Unternehmensberater und Selbstständige etwa, haben einen großen Teil ihrer Freizeit zuvor im Studium geopfert, um exzellente Noten zu schreiben und damit einen guten Arbeitsplatz zu ergattern. Wer im Studium, übertrieben gesagt, lieber bis mittags geschlafen hat, später im Berufsleben um 17 Uhr nach Hause geht, kann sich logischerweise nicht all seine Wünsche erfüllen. Außer er gewinnt im Lotto.