Nach Diesel-Skandal : EU plant Einführung von Sammelklagen
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In Deutschland schlossen sich 460.000 Verbraucher der Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen an. Nun sollen neue Klageinstrumente kommen. Bild: AFP
In der Industrie sind die gefürchtet, für Verbraucher können sie dagegen ein Segen sein. Nach einem Konsens im Europaparlament in Straßburg sollen zeitnah in allen Mitgliedstaaten der EU Sammelklagen eingeführt werden.
Verbraucher in der EU können ihre Rechte künftig besser gegen große Unternehmen durchsetzen. Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten einigten sich am späten Montagabend auf die EU-weite Einführung von Sammelklagen.
„Nach einem langen und harten Kampf gegen die Versuche der Industrie, den Vorschlag zu verwässern, werden Verbraucherorganisationen künftig vor Gericht gegen unlautere Händler vorgehen können“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt. „So werden Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa einfache Ansprüche auf Schadensersatz, Minderung oder Ersatzlieferung durchsetzen können.“
Der französische Christdemokrat und Verhandlungsführer des Parlaments, Geoffroy Didier, betonte, es sei gelungen, ein Gleichgewicht zwischen Verbraucherschutz und juristischer Sicherheit für Unternehmen zu schaffen. EU-Justizkommissar Didier Reynders begrüßte die Einigung.
Reaktion auf Diesel-Betrug
Die EU-Kommission hatte 2018 im Zuge des VW -Abgasskandals um manipulierte Abschalteinrichtungen von Fahrzeugen vorgeschlagen, europaweit Kollektivklagen zu erlauben. Die EU-Staaten müssen die neuen Regeln nun innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. In Deutschland gibt es mit der Musterfeststellungsklage schon eine Möglichkeit für Kollektivklagen. Qualifizierte Verbraucherorganisationen können vor einem Spezialsenat für die Interessen von Verbrauchern streiten. Diese müssen sich ihre Daten in einem Klageregister hinterlegen, um von dem Ausgang des Rechtsstreits zu profitieren. Der bislang prominenteste Fall war die Musterklage des Verbraucherzentralen Bundesverband (Vzbv) gegen Volkswagen, dem sich knapp 460.000 Diesel-Fahrer anschlossen. Kunden, die ihren Wagen nicht in Deutschland gekauft hatten, blieben allerdings außen vor.
Künftig können Verbraucher ihre Rechte auch in anderen EU-Staaten durchsetzen können. Qualifizierte Institutionen wie Verbraucherverbände können dann stellvertretend für die Geschädigten gegen Unternehmen auf Unterlassung und Schadenersatz klagen. In jedem EU-Staat soll zumindest eine Organisation dazu berechtigt sein, wie das Europaparlament mitteilte.
Weitgehende Auskunftsrechte für Sammelkläger
In einem wichtigen Punkt setzten sich die Parlamentarier gegen die EU-Staaten durch: Auch Flug- und Zuggastrechte werden von den neuen Regeln umfasst. Darüber hinaus können Sammelklagen etwa bei Fragen des Datenschutzes, bei Finanzdienstleistungen sowie bei Energie-, Umwelt- und Gesundheitsfragen eingereicht werden - neben den allgemeinen Verbraucherschutzrechten.
Vor einem Missbrauch dieser Klagemöglichkeit sollen Unternehmen durch die neuen Regeln geschützt werden. Abschreckend soll das Prinzip wirken, dass der Verlierer eines Verfahrens für die Kosten aufkommt. Zudem können Gerichte und Behörden zum frühestmöglichen Zeitpunkt entscheiden, einen offensichtlich unbegründeten Fall fallenzulassen, wie das Parlament mitteilte. In den Vereinigten Staaten sind Sammelklagen ein lukratives Geschäftsmodell für Anwaltskanzleien.
Vor dem Entstehen einer solchen Klageindustrie haben Unternehmensverbände in den vergangenen Jahren gewarnt. Die zehntausenden Kundenklagen gegen die Automobilindustrie und die großvolumigen Schadenersatzklagen von Kartellgeschädigten zeigen, dass diese Entwicklung schon längst begonnen hat.