Viele neue Jäger : Das große Halali
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Treibjagd in Bayern: Am 3. November gedenken die Jäger ihres Schutzheiligen Hubertus. Bild: Maria Irl
Noch nie gab es so viele Jäger wie heute. Der Nachwuchs kommt aus der Stadt und ist zunehmend weiblich: Was suchen all die jungen Frauen im Wald?
Vivien Vogt kocht gerne, auch Fleisch. Am liebsten selbst geschossenes. Ein Steak aus dem Supermarkt kommt ihr nicht in die Pfanne. Vor vier Jahren hat die Start-up-Unternehmerin ihren Jagdschein gemacht. Seither legt sie an auf Enten, Hasen, Rehe. Nicht, um Trophäen zu sammeln, erst recht nicht, weil sie einen Narren an Waffen gefressen hat: „Ich will einfach nur wissen, was ich esse“, sagt Vivien Vogt.
Als Managerin ist die 35-Jährige schwer zeitgeistig unterwegs, hat in führender Position Smoothies und MyMuesli verkauft, jetzt vertreibt sie mit ihrer eigenen, in Passau ansässigen Firma Kokosblüten-Zucker. Den importiert sie direkt von der indonesischen Insel Java. In der Freizeit streift sie durch bayerische und böhmische Wälder, das Gewehr im Anschlag. Die Unternehmerin ist mit ihrer Jagd-Passion in guter Gesellschaft: Die Wirtschaftselite bläst zum großen Halali! Noch nie haben sich so viele Menschen zum Jäger ausbilden lassen. Knapp 370.000 Leute mit Jagdschein sind heute in Deutschland unterwegs, doppelt so viele wie in den 60er Jahren. Und Jahr für Jahr kommen 10.000 neu hinzu.
Die Jagd sei kein Sport, sondern eine Lebenseinstellung, sagt Martin Lösch, ein studierter Landwirt, der von dem Trend ganz gut lebt. Sein Gut Grambow, in Mecklenburg gelegen, bietet exklusive Intensivkurse für Führungskräfte an. Für 6000 Euro können die dort ihren Jagdschein erwerben, Übernachtung und Verpflegung kosten extra.
Löschs Zielgruppe sind Manager der ersten und zweiten Führungsebene, dazu Promi-Waidmänner (und -frauen) bekannt aus Funk und Fernsehen. 400 Schüler im Jahr betreut der Agrarökonom, selbst Mitte 40: „Die Hälfte davon ist unter 30, fast ein Drittel sind Frauen.“ Seine Faustregel lautet: „Je jünger die angehenden Jäger, desto mehr Frauen sind im Kurs.“
„Hochkontemplative“ Stunden auf dem Hochsitz
Die „Generation Golf“ zieht es raus in die Wildnis. Die Gruppe der um die Vierzigjährigen, inzwischen zu Geld, Status und SUV gekommen, finden die Jagd cool, seit sich herumgesprochen hat, dass eine Nacht auf dem Hochsitz, garantiert ohne Handy-Empfang, ungemein entschleunigt.
Der Wald bietet sich an als exklusiver Rückzugsort, noch nicht so ausgetrampelt wie der Golfplatz. „Nach drei Tagen New-York-Trip brauche ich drei Stunden auf dem Hochsitz“, bekennt ein Unternehmer. Hier sind selbst Leute unerreichbar, die sich sonst permanent präsentieren müssen. Auf der Jagd verbringen sie „hochkontemplative“ Stunden, müssen nicht reden, nur im Morgengrauen hören, ob ein Ast knackt, ob sich der Hirsch auf der Lichtung zeigt. „Selbst wenn nicht, bin ich hinterher total erfüllt“, sagt ein Manager.
In früheren Jahrhunderten war die Jagd eine Angelegenheit des Adels, heute sind die Jagdgesellschaften durchsetzt mit Unternehmern, Anwälten und Ärzten. Frankfurter Top-Investmentbanker verbringen das Wochenende auf der Pirsch, treffen womöglich auf den Lufthansa-Caterer, den Mittelständler mit eigener Jagd, die Karrierefrau von der Konkurrenz oder ihren eigenen PR-Berater.
Finanzinvestoren wie Johannes Huth, Europa-Chef der Private-Equity-Gesellschaft KKR mit Dienstsitz London und eigenen Jagdgründen in Tirol, sind begeisterte Jäger. Marion Helmes, Ex-Celesio-Chefin und heute Pro-Sieben-Aufsichtsrätin, ist mit ihrem Mann Stefan Kirsten, dem Finanzvorstand des Dax-Immobilienkonzerns Vonovia, mit von der Partie. Männer wie Wendelin Wiedeking (Ex-Porsche) und Jürgen Großmann (Ex-RWE) zählen zur älteren Garde, seit je zuständig für die großen Tiere.
Die typische Jungjägerin ist laut Statistik des Deutschen Jagdverbandes Mitte Dreißig und kommt aus der Stadt. Ihr Anteil an der Jagdgesellschaft steigt stetig. Vor 20 Jahren war nur ein Prozent der Jagdscheininhaber Frauen. Derzeit sind es mehr als zehn Prozent. Nie war die Jagd weiblicher, nie war sie jünger. Stephanie Welkoborsky ist gerade 27, Nachwuchsmanagerin im Finanzdistrikt, und dabei, sich auf ihren Jagdschein, das „grüne Abitur“, vorzubereiten – angeblich schwerer als die allgemeine Hochschulreife.