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Verhaltensforschung : Dem Geduldigen winken die dicksten Fische

Nur nicht die Geduld verlieren Bild: Your Photo Today

Ungeduld ist Verhaltensforschern zufolge höchst schädlich. Wer immer alles gleich sofort will, erhält am Ende weniger. Selbstdisziplin zahlt sich aus.

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          Zum Einstieg ein Experiment: Vor Ihnen steht ein Glas Rotwein. Der Kellner im Lieblingsrestaurant hat es spendiert. Sie können den Wein sofort trinken. Oder aber Sie lassen die Finger davon. Für diesen Fall, verspricht der Kellner, gibt es beim nächsten Besuch nicht nur ein Glas Rotwein, sondern zusätzlich ein Dessert gratis. Wie entscheiden Sie sich? Wenn Sie das Glas Wein nicht sofort trinken, haben Sie die Geduldsprobe bestanden – und besitzen mit großer Wahrscheinlichkeit eine Fähigkeit, die Gold wert ist: Geduld, so schildert es der österreichische Experimentalökonom Matthias Sutter in seinem eben erschienenen Buch „Die Entdeckung der Geduld“, hat einen ungeahnten Einfluss auf Gesundheit, Bildung und sogar auf das persönliche Einkommen.

          Johannes Pennekamp
          Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaftsberichterstattung.

          Das ist kaum zu glauben. Ist nicht gerade Ungeduld die (Un-) Tugend des 21. Jahrhunderts? Wir wollen alles, und zwar sofort. Wir kaufen im Internet auf Knopfdruck, morgen muss geliefert werden. Wir überprüfen unsere E-Mails, obwohl wir das doch eben erst getan haben. Wir befeuern mit unserer Ungeduld milliardenschwere Geschäftsmodelle wie das des Mitteilungsdienstes Whatsapp, weil wir unfähig sind, für eine Millisekunde den Anschluss zu verlieren. Und wir konstatieren die wachsende Ungeduld der Kinder, die pathologische Züge annimmt – Diagnose ADHS.

          Nimmt man die Forschungsergebnisse von Sutter und zahlreichen anderen Verhaltensforschern und Psychologen ernst, ist der Trend zur Ungeduld höchst schädlich. Denn Geduld ist eine Fähigkeit, die auf viele wichtige Dinge einen ähnlich großen Einfluss hat wie die Intelligenz eines Menschen. Anders als andere persönliche Eigenschaften kann Geduld erlernt werden, sagen die Forscher. Das klingt erst einmal vielversprechend. Im Umkehrschluss bedeutet es allerdings: Geduld kann auch verlernt werden.

          Wer ungeduldig ist, läuft Gefahr, später arm zu sein

          Die Forschungsergebnisse, die Sutter in seinem Buch zusammengetragen hat, sind verblüffend. Schon bei drei- und vierjährigen Kindern lässt sich klar unterscheiden, wie geduldig sie sind. Die Experimente, mit denen das ermittelt wird, ähneln dem Rotwein-Beispiel in der Lieblingskneipe, nur, dass den Kindern Gummibärchen oder bunte Aufkleber statt Rotwein aufgetischt werden. Stets lautet die Frage, ob sie lieber heute etwas weniger bekommen möchten oder morgen etwas mehr. Diese Herangehensweise erscheint vereinfachend, tatsächlich aber haben die Ergebnisse große Aussagekraft. „Das Ausmaß an Geduld und Selbstkontrolle in der Kindheit hat eine bemerkenswerte Vorhersagekraft für den weiteren Lebensweg“, schreibt Sutter.

          Das bedeutet zweierlei. Zum einen sind Menschen, die schon als Kind der unmittelbaren Versuchung nicht widerstehen konnten, im Schnitt auch als Erwachsene ungeduldiger. Zum anderen zeigen Studien aus aller Welt den beträchtlichen Einfluss der Ungeduld: In Japan stellten Forscher einen signifikanten Zusammenhang zwischen Ungeduld und der Zahl der Zigaretten fest, die ein Mensch täglich raucht. Ungeduldige Schüler in Österreich geben mehr Geld für Alkohol aus als geduldige Gleichaltrige. In den Vereinigten Staaten wiesen Ökonomen nach, dass Ungeduld und Übergewicht miteinander einhergehen.

          In einer Langzeitstudie in Neuseeland beobachten Forscher, dass geduldigere Schüler im Schnitt einen besseren Schulabschluss machen. Das wirkt sich später auf die Verdienstmöglichkeiten und den Erfolg im Beruf aus. Die Präferenz für die Gegenwart hängt außerdem mit der Sparneigung eines Menschen zusammen. Wer zu ungeduldig ist, sorgt weniger für das Alter vor und läuft Gefahr, später arm zu sein.

          Kleine Tricks im Alltag können helfen

          Der naheliegenden Vermutung, dass es in Wahrheit die Intelligenz ist, die für all die zukunftsorientierten Entscheidungen verantwortlich ist, widersprechen die Forscher. Intelligenzquotient und Geduld seien zwar verbunden. Sie nähmen aber unabhängig voneinander Einfluss auf die Entscheidungen des Menschen, schreibt Sutter. Geringere kognitive Fähigkeiten können demnach durch größere Geduld kompensiert werden.

          Es lohnt sich also, die Geduld frühzeitig zu trainieren. Aber wie soll das funktionieren? Die Untersuchungen der Forscher machen deutlich, wie wichtig in der Erziehung die Verlässlichkeit der Eltern ist. Werden Kinder von ihnen enttäuscht, etwa weil Versprechen nicht eingehalten werden, verlieren sie das Vertrauen, dass sich Abwarten auszahlt. Offenbar ahmen Kinder zudem das Verhalten ihrer Eltern nach. Dass geduldigere Eltern geduldigere Kinder großziehen, ist ein Indiz dafür. Auch wie lange Säuglinge gestillt werden, spielt eine signifikante Rolle.

          Insgesamt scheint es sehr hilfreich zu sein, geduldiges Verhalten früh regelmäßig einzuüben, dabei können kleine Tricks im Alltag helfen. Wer etwa eine Zeitlang gezwungen wird, Tagebuch über Ein- und Ausgaben zu führen, der wird im Schnitt mehr sparen als jemand, der nicht Buch führt. Solche Ratschläge versprechen wenig Spaß. Und so bleibt den Ungeduldigen zumindest ein kleiner Trost: Zumindest kurzfristig haben sie mehr zu lachen.

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