Vor dem Urteil : Schicksalstag für Thomas Middelhoff
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Thomas Middelhoff Bild: dpa
Freispruch oder Haft – alles ist möglich, wenn das Landgericht Essen heute sein Urteil im Strafprozess gegen Thomas Middelhoff verkündet. Der Manager war früher vom Erfolg verwöhnt. Inzwischen wirft er anderen vor, seine Reputation zu vernichten.
Für den früheren Spitzenmanager Thomas Middelhoff geht es in diesen Tagen um alles oder nichts. Am heutigen Freitag will das Landgericht Essen sein Urteil im Strafprozess gegen ihn wegen mutmaßlicher Untreue verkünden: Middelhoff soll sich private Flugreisen zuhauf von seinem damaligen Arbeitgeber Arcandor bezahlen lassen haben. Die Staatsanwälte haben drei Jahre und drei Monate Haft gefordert, die Verteidiger Freispruch. Beobachter halten alles für möglich – wobei eine Bewährungsstrafe nicht ganz unwahrscheinlich sein dürfte. Auch eine Geldstrafe käme in Betracht.
Doch schon kommende Woche geht es weiter. Middelhoff ist nämlich auch in eine ganze Riege von Zivilklagen verstrickt, von denen viele sich um geschlossene Immobilienfonds drehen, mit denen er Geld verloren hat. Die Folge: Der 61 Jahre alte Exmanager ist – nach eigenen Angaben – nicht insolvent, aber doch ziemlich wenig flüssig. Weshalb ein Gerichtsvollzieher jüngst sogar seine Armbanduhr pfändete und im Internet versteigerte. Am Dienstag will nun das Landgericht Köln einen Prozess eröffnen, der den Kern des Middelhoffschen Dilemmas betrifft. Dort klagt er nämlich gegen die ehemalige Privatbank Sal. Oppenheim, die seine Konten eingefroren hat, weil sie eigene Forderungen gegen ihn geltend macht. Da er seither keinen Zugriff auf einen erheblichen Teil seiner Ersparnisse hat, dürfte die Finanzierung seines aufwendigen Lebensstils im französischen Saint-Tropez einen ziemlichen Balanceakt bedeuten. Eine ganze Meute von Gläubigern ist bereits hinter ihm her.
Und als wäre das alles noch nicht genug, hat auch das Oberlandesgericht Hamm noch ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Eigentlich wollte es schon vor Tagen eine Entscheidung über Bonuszahlungen in Millionenhöhe verkündet haben, die der Insolvenzverwalter der Kaufhauskette zurückfordert. Die Berufungsrichter haben den Termin jetzt aber auf den 10.Dezember verschoben. Auch Schadensersatzforderungen des Verwalters in dreistelliger Millionenhöhe stehen im Raum, haben bisher vor Gericht aber nur wenig Unterstützung gefunden.
Der Prozessmarathon ist dem gebürtigen Düsseldorfer nicht anzumerken. Mit strahlendem Lächeln läuft er über die Gerichtsflure, als wäre er der Hausherr – und nicht wahlweise Angeklagter, Beklagter, Kläger oder Zeuge (auch das gab es etwa im Strafverfahren gegen die frühere Führungsriege von Sal. Oppenheim oder in der Zivilklage der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz gegen das Bankhaus). Selbst wenn es peinlich für ihn wird, deutet er sein Verhalten geschwind in einen Siegercoup um. So, als er sich auf der Flucht vor Fotografen mit zwei Drei-Meter-Sprüngen aus dem Justizgebäude ins Freie rettete und später stolz verkündete: „Ich bin wie die Katze übers Dach.“
Früher war der studierte Betriebswirt tatsächlich vom Erfolg verwöhnt. Beim Medienkonzern Bertelsmann machte er Karriere als Vorstandsvorsitzender, bis er schließlich im Jahr 2002 – wohl auf Betreiben der Verlegerfrau Liz Mohn – weichen musste. Bei Karstadt-Quelle lotste die Milliardärin Schickedanz ihn zunächst an die Spitze des Aufsichtsrats, bevor er dann in der Krise das Ruder im Vorstand übernahm. Die spätere Pleite des mittlerweile als Arcandor firmierenden Konzerns gehe allein auf das Konto seines Nachfolgers Karl-Gerhard Eick, verkündet er bis heute unermüdlich.
Was Middelhoff alles vorgeworfen wird
Worum geht es eigentlich bei den Prozessen, in die Thomas Middelhoff verwickelt ist?
Welche finanziellen Forderungen gibt es gegen ihn?
Warum will der Arcandor-Insolvenzverwalter Geld von Middelhoff?
Wer macht noch Ansprüche gegen Middelhoff geltend?
Und was hat Middelhoff mit den Kirch-Erben zu tun?
Seither betätigt sich Middelhoff als Finanzinvestor in New York und Hongkong, worüber allerdings wenig Konkretes zu hören ist. Ohnehin geht viel Zeit für die juristischen Querelen drauf. Zu den Widersachern gehören auch der Unternehmensberater Roland Berger, mit dem er nebenher eine später gefloppte Finanzfirma gegründet hatte, und der Immobilienentwickler Josef Esch, der ihm nicht nur Immobilienfonds verkauft, sondern auch eine Luxusyacht vermietet hatte. Selbst in den Nachwehen der Pleite des verstorbenen Medienunternehmers Leo Kirch steckt der hochgewachsene Vater von fünf Kindern mit drin. Denn auch er steht im Verdacht, in dessen Milliardenprozess gegen die Deutsche Bank das Oberlandesgericht München angelogen zu haben.
Seine Frau hält treu zu ihm
Klar ist aber: Den Gerichtssaal wird er an diesem Freitag als freier Mann verlassen. Wie auch immer das Urteil ausgeht – entweder er oder die Staatsanwaltschaft wird wohl Revision einlegen. In den mehr als sechs Monaten Hauptverhandlung drehte sich alles um teuere Flüge mit Charterjets nach London und New York; ferner um Hubschrauberflüge zwischen Middelhoffs Wohnsitz in Bielefeld und der Arcandor-Zentrale in Essen, mit denen Middelhoff auf dem Weg zur Arbeit dem täglichen Stau am Kamener Kreuz entgehen wollte. „Wohnt man zu weit weg oder sind die Verkehrswege schlecht, dann muss man umziehen“, befanden die Ankläger in ihrem Schlussplädoyer – wie jeder normale Arbeitnehmer. Auch 180.000 Euro für eine Festschrift zu Ehren des früheren Bertelsmann-Chefs Mark Wössner lasten sie ihm an. Von der Anklageschrift sei nichts übrig geblieben, konterten seine Verteidiger; die Vorwürfe seien „maßlos und polemisch“. Middelhoff selbst hatte schon im Mai in seiner kämpferischen Eröffnung dem Arcandor-Insolvenzverwalter und dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ vorgeworfen, gemeinsam hätten sie fünf Jahre lang nichts unversucht gelassen, um ihn mit Indiskretionen zu kriminalisieren und seine Reputation zu vernichten.
Doch selbst bei einem Freispruch könnten den Sohn eines Textilunternehmers die diversen Zivilprozesse am Ende in den Ruin stürzen. Bis dahin dürften die Anwaltshonorare jedenfalls zu den größten Ausgabenposten in seinem Privatetat zählen. Seine Frau – eine Architektin – hält treu zu ihm. Als Zeugin sagte sie neulich vor Gericht zu seinen angeblichen Privatflügen: „Er hat eigentlich immer gearbeitet, immer, immer.“