Sebastian Thrun im Gespräch : „Ich will die Unilandschaft revolutionieren“
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Sebastian Thrun hat das geheime Forschungslabor von Google geleitet, bevor er seine Internetuniversität Udacity gründete. Bild: Marko Priske/laif
Der Stanford-Professor Sebastian Thrun hat das selbstfahrende Google-Auto entwickelt. Jetzt betreibt er im Internet eine Hochschule für alle. Kann das auch hierzulande funktionieren? Im Interview erklärt er seine Vision von Bildung.
Herr Thrun, Sie haben die erste Online-Universität der Welt gegründet. Was bedeutet eigentlich der Name „Udacity“?
Das große U steht für university. Der Rest des Wortes kommt von dem englischen Begriff für Kühnheit oder Wagemut: „audacity“.
Für dieses Start-up haben Sie die besten Stellen der Welt sausenlassen: eine Professur in Stanford und den Posten als Chef von Google X, dem geheimen Forschungslabor des Internetriesen.
Ja, und? Das, was ich mit Udacity erreichen möchte, erfordert meine volle Aufmerksamkeit. Udacity ist für mich mehr als ein Unternehmen, es ist meine Mission.
Ein großes Wort.
Ich will die Universitätslandschaft revolutionieren. Nicht nur in Amerika, sondern weltweit. Das System hat sich seit Hunderten von Jahren kaum erneuert. Es ist insbesondere in den Vereinigten Staaten ein elitäres System, das Bildung für einen kleinen Kreis von Privilegierten in den Industriestaaten anbietet. Das wollen wir ändern, und damit werden wir Geschichte schreiben.
Das klingt sehr selbstbewusst. Aber Gewinne haben Sie noch nicht gemacht, oder?
Wir sind im Moment noch nicht ganz ertragreich, das stimmt. Aber wir sind auf dem Weg dorthin. Die Zahl unserer zahlenden Studenten in unseren Nano-Degrees verdoppelt sich jeden Monat. Wir haben drei Millionen Studenten aus mehr als hundert Ländern.
Schon vor drei Jahren haben Sie Ihre Vorlesung über künstliche Intelligenz ins Netz gestellt - und hatten auf einen Schlag 160.000 Hörer. Damit wurden Sie zum Erfinder der Online-Kurse.
Das war damals eine Sensation. Aber auch nicht mehr. Um ehrlich zu sein: Einfach Vorlesungen ins Netz zu stellen geht an den Bedürfnissen vieler Studenten vorbei. Die meisten brechen ab. Und Universitäten erkennen ihre eigenen Online-Kurse oft nicht an.
Was machen Sie stattdessen?
Wir bieten Kurse mit Inhalten, die die Industrie wirklich braucht. Und Abschlüsse, die von ihr anerkannt werden. Das alles in einer sehr optimierten Form der Vermittlung, die hohe Abschlussraten garantiert. Wir haben durch die Interaktion mit unseren Studenten eine große Menge Daten - und damit das Wissen, wie Studenten derzeit am erfolgreichsten lernen. Mehr als 60 Prozent der Teilnehmer halten durch und bekommen ein Zeugnis, mit dem sie etwas anfangen können.
Über Ihre Konkurrenz-Plattformen bekommt man Zugang zu den Top-Universitäten der Welt und kann die unterschiedlichsten Vorlesungen belegen. Warum geht das bei Ihnen nicht?
Von den klassischen Universitäten haben wir uns zum größten Teil losgesagt. Als einzige Online-Universität bauen wir unser Bildungsangebot gemeinsam mit der Wirtschaft auf, mit Unternehmen wie Google oder Facebook. Diese Firmen investieren dabei sehr viel Geld. Die Akzeptanz bei möglichen Arbeitgebern ist unter diesen Umständen keine große Frage.
Klappt das denn?
Sehr gut sogar. Unsere Diplome werden als Fortbildung anerkannt, auch für Beförderungen. Selbst bei der Vergabe von Arbeitsplätzen sind unsere sogenannten „Nano-Degrees“ bei manchen Firmen schon einem Universitätsabschluss gleichgestellt. Mit der Akzeptanz unserer Abschlüsse in der Wirtschaft steht und fällt das Geschäftsmodell. Und sie steigt ständig.
Welche Fächer kann man denn studieren?
Im Moment sind wir eine Technische Universität - mit Kursen für Informationstechnologie, Statistik und künstliche Intelligenz. Aber wir wollen uns breiter aufstellen. Business und Entrepreneurship werden hinzukommen. Wir werden einen MBA anbieten, wenn auch nicht im traditionellen Format, weil wir diesen mit Unternehmen gemeinsam entwickeln. Er wird auch nicht zwei Jahre dauern und nur einen Bruchteil kosten. Aber ich bin sicher, er wird mindestens gleichwertig sein.
Gibt es schon einen kompletten Studiengang?
Gemeinsam mit dem Georgia Institute of Technology bieten wir einen Master in Informatik an. Der kostet bei uns knapp 7000, an der Uni bis zu 45.000 Dollar.
Gräbt sich die Universität damit nicht selbst das Wasser ab?
Das ist die spannende Frage. Für Georgia Tech’s On-campus Master in Informatik sind die Bewerbungszahlen um 30 Prozent gestiegen. Dazu kommen über 2500 Studenten, die nun online studieren. Dieser Studiengang ist innerhalb eines Jahres der größte der ganzen Uni geworden. Das bedeutet, dass sich die Universität auf Dauer verändern muss.
Kann ein Online-Studium den Kontakt zu Professoren und Mitstudenten ersetzen?
Es geht nicht ums Ersetzen. Sondern darum, etwas Neues zu erfinden. Können Online-Bibliotheken den physischen Kontakt zum Buch ersetzen? Nein. Trotzdem sind sie eine phantastische Innovation. Viele Studenten müssen aus irgendwelchen Gründen zu Hause bleiben: Sie haben vielleicht einen Job, eine Familie. Ihnen bieten wir das bessere Produkt - unabhängig vom Preis. Die Frage nach dem „Ersetzen“ ist die falsche Frage, eine des alten Denkens.
Was sagen eigentlich Ihre Kollegen aus Stanford zu diesem radikalen Neustart?
Sie respektieren das. Und sie wissen, dass es mir ernst ist. Viele Professoren verbringen den ganzen Tag damit, Dinge neu zu denken und ganze Wirtschaftszweige mit ihren Ideen zu verändern. Nur die eigene Branche war immer ein Tabu. Niemand hat sich je grundsätzlich darangewagt. Das hat sich jetzt geändert.
Sie könnten auch scheitern.
Klar. Aber danach sieht es derzeit nicht aus. Die Revolution des Bildungssystems steht erst am Anfang. Bill Gates sagte immer: Die größte Angst hat er vor Leuten, die mit einer Erfindung die Regeln verändern. Das hat Google mit seiner Suchmaschine gemacht. Es werden auch künftig Dinge erfunden werden, von denen wir heute noch nichts ahnen. Es werden sich Regel- und Wertesysteme radikal verändern. Heute sagen die Leute: Udacity ist vor allem im berufsbezogenen Bereich unterwegs und keine Gefahr für die altehrwürdigen Universitäten. Die Frage ist, ob die Professoren in ein paar Jahren immer noch so reden.
Das sind gewagte Thesen.
Wir haben jedenfalls eine weltweite Diskussion über die Zukunft des Lernens ausgelöst. Irgendwann werden die Professoren aufwachen, weil sie von uns und Firmen wie Coursera Konkurrenz bekommen.
Harvard doch nicht!
Das amerikanische Hochschulsystem bildet nur einen winzigen Teil der Studenten wirklich gut aus. Wie viele Leute schaffen es denn nach Harvard, Stanford oder Princeton? Gerade einmal tausend Leute machen pro Jahr und Hochschule hier einen Abschluss. Aber wo bleibt der Rest? An vielen der weniger bekannten Hochschulen schaffen nur 20 bis 30 Prozent der Studenten einen Abschluss. Die anderen fallen durch. Was für eine Geldverschwendung! Meine Online-Universität ist erst einmal für diese Liga Konkurrenz, also für die Hochschulen, die in der Lehre nicht sehr erfolgreich sind. Die Top-Unis machen ihre Arbeit immer noch sehr gut.
Wird es auf Dauer unwichtiger, Namen wie Stanford oder Harvard im Lebenslauf zu haben?
Auch das wird spannend. Wenn es gelingt, hervorragende Bildung zu einem Bruchteil des Preises für viel mehr Menschen aus aller Welt anzubieten, wird das die Hochschulwelt verändern. Die Eliteuniversitäten leben von ihrer Marke und einer gewissen Intransparenz. Es gibt keine Statistiken über den Berufserfolg der Absolventen. Wenn sich herausstellt, dass unsere Ausbildung genauso gut ist, aber deutlich billiger - dann wird die Frage aufkommen: Ist es gerechtfertigt, so viel Geld für Professoren und Verwaltung auszugeben?
Geld und Herkunft sollen nicht mehr die entscheidende Rolle spielen?
Genau daran arbeite ich. Die Demokratisierung des Wissens ist meine Mission: Wer lernen und weiterkommen will, der wird das tun können. Und zwar überall auf der Welt, unabhängig vom Geldbeutel. Das ist heute alles möglich.
Wie lernen die Menschen in Zukunft?
Das Lernen wird sich zunehmend „on demand“ vollziehen, also nach Bedarf und auf Anforderung. Früher hat man in der Jugend alles gelernt, was man später für den Beruf brauchte. In einer Welt, die sich so radikal verändert wie heute, macht das keinen Sinn mehr. Man wird immer wieder Neues lernen müssen, in meinem Feld, der Informatik so oder so, weil sich dort das Wissen alle fünf bis sieben Jahre erneuert. Der Durchschnittsamerikaner behält seinen Job vier bis fünf Jahre lang. Danach muss er sich etwas Neues suchen. Das findet er leichter, wenn er sich bildet.
In Deutschland fallen in der Regel keine Studiengebühren an. Da hätten Sie es schwerer, oder?
Auch in Deutschland werden die Leute feststellen, dass sie bei uns spannend, schnell und effizient lernen können. Aber klar: An einer Präsenz-Uni lernt man Menschen kennen, hat Spaß, trifft vielleicht sogar seinen Lebenspartner. Das können wir natürlich nicht bieten.
Wo wollen Sie in fünf Jahren sein?
Wir wollen die größte und beste Universität der Welt sein. Nicht im restriktiven Sinn von Harvard oder Stanford. Sondern im Sinne von Ikea: Wir wollen so viele Leute wie möglich richtig gut ausbilden. Vom Beginn des Studiums an bis zum Ende des Berufslebens. Damit können wir die Welt verändern.
Der Denker
Im Silicon Valley ist der gebürtige Solinger Sebastian Thrun (47) ein Star. Nach Informatikstudium und Promotion in Bonn trieb es ihn 1998 nach Amerika. 2003 wechselte er von der Carnegie Mellon University an die Eliteuniversität in Stanford, entwickelte dort eines der ersten selbstfahrenden Autos und wurde 2007 Professor. Google-Gründer Larry Page, der auf den inzwischen preisgekrönten Deutschen aufmerksam geworden war, beauftragte ihn 2011, das geheime Forschungslabor Google X aufzubauen. Fast zeitgleich gründete Thrun die Online-Universität Udacity, die heute mit 120 Mitarbeitern mehr als drei Millionen Studenten betreut und in die auch Bertelsmann Millionen investierte. Die Zeitschrift „Foreign Policy“ reihte Thrun unter den „100 einflussreichsten Denker der Welt“ auf Platz vier ein.