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Karriere und Kinder : Vereinbarkeit ist eine Lüge

Wer sein Kind betreut, kann nicht gleichzeitig arbeiten. Bild: picture alliance / dpa

Kinder und Karriere zusammen gibt es nicht. Trotzdem glauben wir an die Illusion.

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          Seit fünf Jahren treffen sich die Ärztin, die Unternehmensberaterin und die beiden Anwältinnen jeden Donnerstagnachmittag. Am Anfang waren sie zu viert, zusammen im Geburtsvorbereitungskurs, später zu acht, und mittlerweile sind sie elf und sprengen jedes Wohnzimmer. Zu den vier Kindergartenkindern haben sich drei kleine Geschwister gesellt, und vielleicht kommen noch mehr hinzu. Fragt man die Freundinnen nach den vergangenen fünf Jahren, sagen sie, dass es eine unglaubliche Zeit gewesen sei, intensiv, anstrengend, aber auch voller Glücksgefühle, die sie vorher nicht erahnt hätten.

          Judith Lembke
          Redakteurin im Reiseblatt.

          Nach ihren Jobs gefragt, werden die Freundinnen einsilbiger. Denn in dem Maße, wie ihre Familien wuchsen, sind ihre Karriereaussichten geschrumpft. Hätte man sie vor fünf Jahren gefragt, ob die Kinder etwas daran ändern würden, hätten die Freundinnen den Kopf geschüttelt. Sie hätten von Vorgesetzten erzählt, die sie dabei unterstützen wollen, trotz der Kinder aufzusteigen. Sie hätten ihre Ehemänner gelobt, die auch Elternzeit nehmen wollen. Zwei Freundinnen wollten ohnehin nach sechs Monaten wieder an den Schreibtisch zurückkehren – natürlich in Vollzeit.

          Es ist anders gekommen. Weil der Chef auf einmal nicht mehr so verständnisvoll war, als die Tochter den dritten Infekt in zwei Monaten hatte. Weil der Vater zwar sechs Monate Elternzeit genommen, aber noch nie eine Dienstreise wegen Scharlach abgesagt hat. Vor allem aber, weil auch die Freundinnen, die fest vorhatten, schnell wieder durchzustarten, sich nach der Geburt einfach nicht mehr vorstellen konnten, zehn Stunden am Tag von ihren Kindern getrennt zu sein.

          Wer viel arbeitet, hat wenig Zeit für Kinder - warum sieht das keiner kommen?

          Jeden Tag erleben sie eine Binsenweisheit, die so banal ist, dass sie sich im Nachhinein wundern, warum sie es nicht haben kommen sehen: Wer Karriere machen will, muss viel arbeiten. Wer viel arbeitet, hat wenig Zeit für Kinder. Oder anders herum: Die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere ist eine Lüge – zumindest, wenn das Wort Kinder dafür steht, dass man sie nicht nur bekommt, sondern sich auch selbst um sie kümmert.

          Vielleicht liegt es aber auch gar nicht an ihrer Naivität, nicht erkannt zu haben, dass das „Und“ in Wirklichkeit ein „Oder“ ist. Wie es ist, Kinder aufzuziehen, weiß erst, wer welche hat. Bei den meisten Frauen verschieben sich die Prioritäten. An dieser Stelle wäre es politisch korrekt, von Frauen und Männern zu schreiben. Aber das stimmt nicht.

          Vor allem wurde den Freundinnen aber viele Jahre eine dicke Lüge aufgetischt: Wenn du dich nur genug anstrengst, kannst du beides haben! Schau dir Facebook-Chefin Sheryl Sandberg oder die Yahoo-Vorstandsvorsitzende Marissa Mayer an: Sie schaffen es doch auch! Wenn du deine Zerrissenheit erst als Balance und die Quengelstunde abends mit den Kindern als „quality time“ verstehst, wirst du trotz der Kinder Karriere machen! Aber benenne nicht die Kosten dieser Vereinbarkeit – dann begehst du Verrat! Verrat an allen Frauen, die heute nach oben streben und es auch künftig tun wollen!

          Kristina Schröder durfte nicht abtreten

          Wer das für übertrieben hält, sollte sich die Reaktionen auf eine Aussage der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder in Erinnerung rufen. Sie gab ihr Ministeramt mit der Begründung auf, sie wolle mehr Zeit für ihre kleine Tochter haben. Eigentlich sagte sie, dass sie nicht gleichzeitig im Ministerium und auf dem Spielplatz sein kann. Eine logisch zwingende Aussage. Eine persönliche Entscheidung. Und doch hat sie damit einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen. Der Vorwurf, sie habe Frauen einen Bärendienst erwiesen, weil sie zugegeben habe, Kind und Topjob passten nicht zusammen, gehörte noch zu den freundlicheren.

          Auch die vier Freundinnen haben über Schröders Entscheidung diskutiert. Und die öffentliche Ablehnung nicht verstanden. Nicht eingesehen, dass etwas, was sie jeden Tag erleben, politisch nicht opportun sein soll. Anstatt die Illusion der Vereinbarkeit zu füttern, wäre ihnen viel mehr mit der Einsicht geholfen, dass sie unter den gegebenen Bedingungen nicht existiert. Um diese Bedingungen zu ändern. Um Akzeptanz dafür zu schaffen, dass beide Elternteile die Arbeit zugunsten der Kinder ein wenig reduzieren, damit nicht einer aufsteigt, während der andere abrutscht.

          Die Freundinnen haben ihren Kindern bewusst den Vorzug gegeben. Aber sie würden sich wünschen, dass ihre Vorgesetzten den gleichen Blick auf das (Arbeits-)Leben haben wie die Eltern eines Kleinkindes: als eine Abfolge verschiedener Phasen, die nicht linear verlaufen müssen. Im Moment mögen die Kinder im Mittelpunkt stehen. Aber das kann morgen anders sein. Und dann möchten die Freundinnen noch eine Chance.

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