Fußball und Wirtschaft : „Auf Özil hören viel mehr Leute als auf die Kanzlerin“
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In drei Wochen startet die WM: Die Nationalelf übt in Südtirol - Mesut Özil postet auf Facebook Bild: dpa
Wirtschaftsprofessor Sascha Schmidt hat die Nationalelf erforscht - und ein großes soziales Kapital entdeckt. Ein Gespräch über Siege, Vorbilder und die Wertschöpfung im Fußball.
Herr Schmidt, was sagt die Wissenschaft: Wer wird Fußball-Weltmeister?
Wir haben noch keinen Algorithmus entwickelt, der das vorhersagen könnte, leider. Und eine Krake habe ich gerade nicht zur Hand.
Aber Sie haben die Nationalelf zum ökonomischen Forschungsprojekt gemacht - mit welchem Ergebnis?
Die Nationalelf trägt überragend zum „Branding of nations“ bei - es besteht ein hoher Zusammenhang zwischen Fußball und Ansehen des Landes.
Am Fußball hängt der Ruf Deutschlands in der Welt?
Zumindest leistet er einen starken Beitrag. Deutschland hat durch den Fußball unheimlich an Renommee gewonnen, das hat mit der WM 2006, dem Sommermärchen, begonnen, seither bewegen wir uns kontinuierlich auf sehr hohem Niveau. Die Sympathiewerte sind überragend: 94 Prozent der Befragten sehen das Auftreten der Nationalelf als vorbildlich an, 40 Prozent sehen ihren Lieblingsnationalspieler gar als persönliches Vorbild - das sucht seinesgleichen.
Woher kommt diese Zuneigung?
Das soziale Kapital, das im Fußball entsteht, geht auf den „Birging-Effekt“ (basket in reflected glory) zurück: Menschen fühlen sich gerne einer sozialen Gruppe zugehörig, die erfolgreich ist und als sympathisch wahrgenommen wird. Und die Nationalmannschaft erreicht auch Leute, die sich sonst nicht für Fußball interessieren.
Die Frauen zum Beispiel, die ansonsten mit Fußball wenig anfangen können ...
... das ist sicherlich eine Gruppe, eine andere sind unsere ausländischen Mitbürger.
Glaubt man Ihrer Studie, fiebern die sogar am meisten mit Jogis Jungs, kann das sein?
Ja, dieses Ergebnis hat uns auch überrascht. Besonders ausländische Mitbürger, die neu hier leben, speziell im ersten Jahr in Deutschland, fühlen sich der Nationalmannschaft verbunden. Für sie gewährt der Fußball einen barrierefreien Zugang zur Gesellschaft. Über das letzte Länderspiel können Sie mit jedem ins Gespräch kommen - wie sonst nur mit dem Thema Wetter.
Die Bindungskraft gesellschaftlicher Institutionen schwindet, gilt das auch für den Fußball?
Nein, im Gegenteil. Während die anderen Großorganisationen - Parteien, Gewerkschaften, Kirchen - massiv Mitglieder verlieren, hat der Sport insgesamt Zulauf und insbesondere der Fußball: Mit dem Fußball erreichen Sie heute quasi jeden Winkel der Gesellschaft.
Unterschicht wie Elite?
Ja, alle - oben wie unten. An einem Samstag im Stadion treffen Sie 45.000 Menschen - und zwar aus allen Bevölkerungsschichten. Wenn man dort nebeneinandersteht, spielen Herkunft und sozialer Rang keine Rolle.
Der Fußball als klassenlose Gesellschaft?
Während der 90 Minuten des Spiels trifft das zu. Danach geht man wieder getrennte Wege. Da bleiben die Unterschiede bestehen.
Sosehr die Ungleichheit im Land beklagt wird, Manager für ihre Gehälter angegriffen werden - die Fußballer sind fein raus, denen gönnt man ihre Millionen. Wie kommt das?
Das Wort von den jungen Millionären in kurzen Hosen macht ja schon mal die Runde, Effekt auf die Sympathiewerte hat es nicht, das stimmt. Auch die Clubs, die über explodierende Gehälter klagen, würden gerne weniger zahlen - trotzdem wird unter den Superstars glänzend verdient, der Markt gibt das eben her. Am Ende ist der Fußball ein Entertainment-Produkt, ökonomisch gesehen, ein „winner take all“-Markt: Man sieht die Schweinsteigers, Özils, Lahms, alle anderen dahinter sieht man nicht, der Wettbewerb der Talente ist härter als in Konzernen.
Es gibt mehr Bundesliga-Profis als Vorstandchefs im Dax ...
... aber noch viel mehr Millionen an kleinen Jungs, die von einer solchen Karriere träumen. Selbst von denen, die es in die Nachwuchsleistungszentren der 36 Proficlubs schaffen, das sind 5.000 Jugendliche in Deutschland, die Besten der Besten, von denen gelingt nur 5 Prozent eine Profi-Karriere. Das ist ähnlich wie bei Pharmakonzernen, die wissen: 95 Prozent der Investitionen in Forschung sind für die Katz.
Fußball ist brutaler als die Wirtschaft, sagen Sie. Übertreiben Sie da nicht? In der Wirtschaft geht es um Geld, Arbeitsplätze, unseren Wohlstand.
Im Fußball aber gibt es nur einen Sieger - das ist der Unterschied, und das macht ihn so brutal. Selbst wenn Deutschland in Brasilien Zweiter wird, sind wir erster Verlierer. In der Wirtschaft ist Erfolg vielfältiger, da gibt es mehrere Sieger.
Wenn es klappt mit dem WM-Titel, schiebt das die Wirtschaft an ...
... zumindest hat das Ereignis positiven Einfluss auf die Stimmung im Land und damit auf den Konsum.
Alles andere als der Titel aber ist eine Enttäuschung.
So absolut würde ich es nicht sagen. Das ist eine Frage des Auftretens, sang- und klanglos auszuscheiden wäre unverzeihlich.
Ein Fußball-Trainer hat folglich einen härteren Job als ein Konzernchef?
Der Vorstandsvorsitzende bleibt jedenfalls länger im Amt: 5,2 Jahre im Schnitt, ein Bundesligatrainer 1,2 Jahre; das haben wir über einen längeren Zeitraum untersucht. Ist ein Trainer nicht erfolgreich, überlebt er nicht, und der Erfolg lässt sich jede Woche an der Tabelle ablesen. In der Nationalelf sind die Zyklen länger, dafür steht kein Wirtschaftsführer so im Brennglas der Öffentlichkeit wie der Bundestrainer. Wer ist sonst noch so exponiert? Niemand. Ein Joe Kaeser kann Siemens umbauen, ohne dass sich 82 Millionen Leute anmaßen, ihm Tipps zu geben, wie es bessergeht. Bei Joachim Löw ist das anders.
In Konzernen, nicht nur bei Siemens, gilt „Diversity“ als Schlüssel zum Erfolg: Warum sind wir dann nicht längst Weltmeister? Mehr Migrationshintergrund geht kaum als in der Nationalelf.
Ich glaube schon, dass Diversity - also gemischte Teams - zum Erfolg beiträgt, aber monokausal ist der Zusammenhang nicht, es ist immer noch ein Ball im Spiel. Die Diversität ist ein Aspekt, der in der Nationalelf gewachsen ist, der andere ist Homogenität.
Zu viel Gleichklang finden Sie eher problematisch?
Nicht per se. Wir haben die Nationalelf mit anderen Hochleistungsorganisationen verglichen, da fällt auf: Homogenität ist bis zu einem gewissen Grad förderlich für die Leistung, irgendwann braucht’s aber auch mehr Heterogenität.
Sonst wird’s gleichförmig und selbstgefällig - im Fußball wie in der Firma?
Ja. Das Zauberwort heißt Ambidextrie.
Was bedeutet das?
Beidhändigkeit, zwei gegensätzliche Dinge gleichzeitig tun; das kommt aus dem Innovationsmanagement: Exploit und explore. Sie müssen gleichzeitig ernten und säen. Wer nur erntet, dessen Feld ist bald leer. Wer immer nur sät, bekommt nie ein marktreifes Produkt, daraus wird dann auch kein Business Case. Jürgen Klinsmann hat die Strukturen im Fußball aufgerissen, Löw verstetigt eine erfolgreiche Entwicklung, mit seiner Art transformationaler Führung.
Was macht er?
Transformationale Führung
Das müssen Sie erklären.
Führungskräfte und Mitarbeiter trägt ein hohes Maß an Vertrauen und gegenseitigem Respekt, man hat eine gemeinsame klare Mission. Erfolgreiche Mittelständler gelten als Beispiel für diese Art Führung. Es ist empirisch erwiesen, dass Firmen mit solchen Chefs ein höheres Wachstum haben als andere, etwa mit Autokraten an der Spitze.
Nur hat der Chef Löw es mit Superstars als Untergebenen zu tun: Fußballer genießen eine höhere Popularität als die Kanzlerin.
Das stimmt. Wir haben die sozialen Netzwerke ausgewertet: Die zehn beliebtesten Nationalspieler haben 56 Mal so viele Facebook-Freunde wie die zehn wichtigsten Politiker. Wenn ein Mesut Özil etwas postet auf seiner Facebook-Seite, erreicht er 33 Mal so viele Leute als wenn die Bundeskanzlerin das macht.
Spricht das gegen die Kanzlerin oder gegen das Volk?
Erst mal ist es ein Fakt. Özil hat fast 19 Millionen Facebook-Freunde. Damit geht eine wahnsinnige Verantwortung einher, wie er mit der Macht des Vorbilds umgeht.
Und es erklärt, warum Konzerne wie Adidas oder Nike so scharf darauf sind, Stars als Werbeträger zu verpflichten ...
Ja. Der Star ist das Vorbild, dem die Kids nacheifern, dessen Kickschuhe wollen sie auch haben.
Gilt das auch für das soziale Engagement der Stars? Macht es bei der Jugend Eindruck, wenn Fußballer Stiftungen gründen?
Durchaus. Spieler wie Lahm, Mertesacker, Metzelder betreiben das ernsthaft, und das wird honoriert. Zur Vorbildrolle trägt nicht etwa Aussehen oder glamouröser Lebensstil bei - das hat keine Bedeutung. Was zählt, ist der Einsatz auf dem Platz, aber auch das Auftreten außerhalb davon.
Wenn das Image der Nationalelf so einwandfrei ist, warum schlägt der DFB dann nicht mehr Gewinn aus diesem Profit Center?
60 Millionen Euro Einnahmen mittels Sponsoring ist eine hübsche Summe und deutlich mehr als noch vor vier Jahren. Und die Erlöse werden weiter steigen: Die Nationalelf ist ein begehrtes Gut - auch deshalb, weil die Verfügbarkeit begrenzt ist: Die Spieler, und auf die kommt es nun mal an, sind der Engpassfaktor, deren Einsatz lässt sich nicht beliebig steigern. Das Jahr hat nun einmal nur 365 Tage.
Das Gespräch führten Georg Meck und Winand von Petersdorff.