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Mittelschicht : Der pure Luxus

Der Mittelstand kann sich einiges leisten Bild: dpa

Die Mittelschicht kann sich heute Dinge leisten, von denen frühere Generationen nicht einmal geträumt haben. Trotzdem ist die Angst vor dem sozialen Abstieg in Deutschland und in den Vereinigten Staaten groß. Warum sind wir so mutlos?

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          Eine amerikanische Zeitschrift hat dem Kaufhaus Macy’s entlockt, welches 1948 die beliebtesten Weihnachtsgeschenke waren. Einsamer Spitzenreiter: Taschentücher. Von denen verkaufte Macy’s in den Wochen vor Weihnachten 300.000 Stück für je 33 Cent. Nylonstrümpfe für 1,38 das Paar fanden 77.000 Abnehmer. Kugelschreiber, Boxershorts, Baumwollhemden, Perlenketten, Handtaschen waren weitere Bestseller. Für Kinder tauchte unter den 15 meistverkauften Artikeln nur eine kurze blaue Satinhose mit Rüschen auf, die Wogen der Erschütterung auslöste, würde man sie der jungen Generation von heute unter dem Weihnachtsbaum legen. Auffällig: Die Geschenke in der Auflistung von 1948 sind ziemlich praktisch. Es fehlten technische Geräte. Und offenbar hielten die Schenker das Geld zusammen. Die 33 Cent für das Taschentücher-Set entsprechen 3,35 Dollar im Jahr 2015.

          Winand von Petersdorff-Campen
          Wirtschaftskorrespondent in Washington.
          Johannes Pennekamp
          Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaftsberichterstattung.

          Die Generation von heute hoffte vor Weihnachten dagegen auf etwas Elektronisches von Apple oder zur Not Samsung. Amerikanische Verbraucher wollten diesmal im Schnitt rund 830 Dollar fürs Weihnachtsgeschenk ausgeben, hundert Dollar mehr als im vergangenen Jahr. Die Deutschen sind etwas knausriger, doch auch sie geben von Jahr zu Jahr mehr Geld in der Weihnachtszeit aus.

          Wer als experimenteller Ökonom auf die Idee käme, den Wohlstand der Nationen an Wunschzetteln abzulesen, der würde vermelden, dass es den Amerikanern, den Deutschen und vielen Westeuropäern blendend geht. Das kann man auch in ganz nüchternen Zahlen fassen: Dem durchschnittlichen Amerikaner geht es dreimal so gut wie seinem Landsmann im Jahr 1950, sagt der Chicago-Ökonom John Cochrane. Das inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist von 16.000 Dollar auf 50.000 Dollar heute gestiegen (gemessen in Dollars von 2009). Und würde man in Deutschland eine Zeitreise in die frühen sechziger Jahre machen, fände man nur in gut jedem zehnten Haushalt einen Fernseher, einen Kühlschrank sowie eine Waschmaschine. „Inzwischen gehören diese drei Geräte, einschließlich Telefon, in 90 Prozent der Haushalte zur Standardausstattung“, meldete das Statistische Bundesamt schon vor zwei Jahren.

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          Weitere gesellschaftliche Fortschritte sind unbezahlbar: Die Umwelt ist sauberer geworden, die Menschen sind gesünder und leben länger, und die Gesellschaften sind toleranter geworden. Wollte früher eine Katholikin einen Protestanten heiraten, dann war das Familiendrama von Shakespeare’scher Dimension nicht fern. Heute heiraten Schwule in Kentucky.

          Warum also dann das Gejammer und Geseufze in der Mittelschicht? Eine schwer greifbare Angst hat die Leute befallen, die Angst vor dem wirtschaftlichen und sozialen Abstieg. Studien über wachsende Ungleichheit und sinkende Aufstiegsmobilität befeuern die Sorge der Leute, dass es für sie und die Kinder den Bach hinuntergeht. In den Vereinigten Staaten sorgt jetzt eine Untersuchung des renommierten Pew Research Center für Furore. Deren zentrale Aussage lautet: Die Mittelschicht bildet nicht mehr die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung. Die Fraktionen, die gemessen am Einkommen unterhalb der Mittelschicht oder oberhalb der Mittelschicht liegen, sind addiert etwas über 50 Prozent und damit größer - zum ersten Mal nach 40 Jahren.

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