Christine Lagarde : Die Auserwählte
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Christine Lagarde wühlte sich in Akten ein und befolgte brav die Anweisungen aus dem Elysée: So überlebt man in Frankreichs Politik Bild: AFP
Plötzlich lieben sie alle: Frankreichs Ministerin Christine Lagarde ist die Kandidatin des Westens für den Chefposten des IWF. Managern und Politikern verdreht sie den Kopf.
Fragt man Kommunikationsberater von Christine Lagarde nach einer Schwäche ihrer Chefin, dann verweisen sie schnell auf ihre Vorliebe für edlen Behang: „Der Schmuck, immer dieser Schmuck!“ Auch am vergangenen Mittwoch wieder, als sie vor der Presse ihre Kandidatur für den Spitzenposten des Internationalen Währungsfonds (IWF) ankündigte, blinkte es unter den Ohrläppchen und auf dem Hals. Lagarde steht zu ihrer Leidenschaft für schöne Steine: „Es berührt mich wirklich, dass so viel Schönheit so lange im Fels verschlossen bleiben kann und dass das Ganze dann durch Menschenhand – Zuschneiden und Einfassen – so viel Eindruck macht“, verriet sie französischen Journalisten. Da mögen die Imageexperten noch so oft daran erinnern, dass man in der französischen Politik besser nicht so edel daherkommt – die 55 Jahre alte Lagarde hört nicht auf, sich zwar dezent, aber sichtbar zu schmücken. „Warum soll ich mich verkleiden?“, sagte sie einmal.

Wirtschaftskorrespondent in Paris.
Im Mai 2005 hielt auch der damalige Finanzminister Thierry Breton die in Chicago arbeitende Christine Lagarde für eine Art verschlossenes Juwel, das nur für die französische Politik entdeckt werden müsse. Erst rief er bei ihr an, dann meldete sich Premierminister Dominique de Villepin, um ihr den Posten der französischen Außenhandelsministerin anzubieten.
Lagarde nicht mehr aufzuhalten
Bei der Anwaltskanzlei Baker & McKenzie trommelte sie umgehend ihr Kabinett zur Beratung zusammen: ein Chinese, ein Singapurer, ein Brasilianer, ein Australier, ein Deutscher, ein Engländer und zwei Amerikaner. Die Diskussion verlief kurz, denn Lagarde war innerlich längst entschlossen. Im Vorjahr hatte sie den Topjob bei der amerikanischen Anwaltskanzlei – einer der größten der Welt – nach fünf Jahren abgegeben. Nun wollte sie nach Frankreich zurück. Die Spezialistin für Arbeits- und Wettbewerbsrecht, unter deren Führung die 3000 Anwälte von Baker & McKenzie erstmals die Umsatzgrenze von einer Milliarde Dollar durchbrachen, wurde Politikerin.
Jetzt steht Lagarde wahrscheinlich vor einem neuen Wechsel ihres Metiers. Fast alle Regierungen Europas sähen sie nach dem Rücktritt von Dominique Strauss-Kahn gerne an der IWF-Spitze. Auch die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton hat sich für sie ausgesprochen. Präsident Barack Obama denke wohl genauso, berichtete sein Amtskollege Nicolas Sarkozy auf dem G-8-Gipfel in Deauville.
Allenfalls ein Justizstreit in Frankreich kann Lagarde wohl noch aufhalten. Ein hochrangiger Staatsanwalt hat ein Ermittlungsverfahren gefordert, weil er Unregelmäßigkeiten bei einem Schiedsgerichtsverfahren zugunsten des französischen Geschäftsmannes Bernard Tapie vermutet. 1993 hatte Tapie die Staatsbank Crédit Lyonnais beauftragt, aus seinem Firmenbesitz den deutschen Adidas-Konzern zu verkaufen. Die Bank tat dies, doch kaufte sie den Sportartikelhersteller hintenherum quasi selbst zum Niedrigpreis, um ihn zwei Jahre später mit hübschem Gewinn weiterzugeben. Tapie, selbst ein gerissener Geschäftemacher, kämpfte fünfzehn Jahre vor Gerichten gegen diesen Betrug.
Die Erfahrungen einer Frau
Lagarde wollte der Saga ein Ende machen – viele sagen, im Auftrag von Sarkozy, dem Tapie nahesteht. Daher schaltete die Ministerin ein Schiedsgericht ein, das dem Geschäftsmann eine Entschädigung in Höhe von 285 Millionen Euro zusprach. Sie habe Steuergelder einem Kumpel zugeschoben, schimpft jetzt die sozialistische Opposition. „Ich handelte immer im Interesse des Staates und völlig legal“, entgegnete sie am Mittwoch. Selbst wenn der angerufene Gerichtshof am 10. Juni zugunsten einer Aufnahme des Ermittlungsverfahrens entscheide, wolle sie ihre Kandidatur aufrechterhalten. Ein Verwaltungsgericht hat bereits 2009 geurteilt, dass sie zu Recht das Schiedsgericht mit der Angelegenheit betraute.
Der Topjob beim IWF wäre auf jeden Fall nach ihrem Geschmack. „Werde ich gewählt, dann bringe ich all meine Erfahrung als Anwältin, Unternehmenschefin, Ministerin und Frau ein“, sagte sie am Mittwoch. Schon in den vergangenen Jahren bereiste sie den Globus, um Brandherde der Finanzkrise löschen zu helfen. Sie deckte dabei zwar alte Schulden mit immer neuen Schulden zu, wie Gegner kritisieren, doch dabei blieb sie konform mit den Wünschen der meisten Staats- und Regierungschefs sowie des IWF-Direktors Strauss-Kahn.