SPD : Kommandantin Nahles
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Blazer statt Lederjacke: Andrea Nahles in ihrem Büro im Willy-Brand-Haus, das sie wohl bald Richtung Ministerium verlassen wird. Bild: Martin Lengemann/laif
Erst gab sie die linke Nervensäge. Dann machte sie auf katholische Frau vom Lande. Nun wird Andrea Nahles womöglich unsere Arbeitsministerin.
Schon jetzt hat sie mehrfach pro Woche einen Auftritt als Staatsfrau. Gemeinsam mit der amtierenden Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, deren zierliche Gestalt sie fast um Kopfeslänge überragt, tritt sie im vierten Stock des Berliner Paul-Löbe-Hauses vor die Kameras. In gesetzten Worten berichtet sie, was sie zu den Themen Arbeit und Soziales mit den künftigen Koalitionspartnern von CDU und CSU vereinbart hat. Sie lobt „echte Fortschritte für die behinderten Menschen“. Sie weicht Fragen nach dem Mindestlohn aus. Sie beteuert, man werde bei neuen Ausgaben „mit Augenmaß vorgehen“.
Auch hinter verschlossenen Türen reiben sich die Unterhändler von CDU und CSU die Augen: Ist das wirklich dieselbe Andrea Nahles, die vor 15 Jahren die rabaukenhafte Juso-Chefin gab und die mit ihren erst 43 Jahren schon mehrere SPD-Vorsitzende auf dem Gewissen hat? „Sie führt die Verhandlungen sehr fair und konstruktiv“, lobt ein Unterhändler aus den Reihen der Union. „Sie setzt sich intensiv mit unseren Argumenten auseinander und ist auch nach fünf Stunden noch sehr aufmerksam.“ Und wenn das Essen zu dürftig ist, sorgt sie für Nachschub. Schon nach einem der ersten Sondierungstreffen klagte sie, 2005 sei alles besser gewesen: „Da gab es wenigstens Alkohol.“
Wenn Nahles in der Arbeitsgruppe spricht, dann sehen nicht nur die früheren politischen Gegner in ihr schon die designierte Nachfolgerin von der Leyens an der Spitze des Ministeriums für Arbeit und Soziales, das über mehr als 40 Prozent des Bundeshaushalts gebietet. „Sie weiß, dass sie sehr gute Chancen hat“, heißt es. Die Konstellation ist günstig: Von der Leyen strebt längst in Richtung Außenministerium, weil sie weiß, dass die SPD auf das Arbeitsressort nicht verzichten kann. Und deren Parteichef Sigmar Gabriel wiederum spielt mit dem Gedanken, sich selbst an die Spitze eines Großressorts für Wirtschaft und Energie zu setzen.
Dem Agenda-Frust verdankt sie ihren Wiederaufstieg
Kein deutscher Politiker hat sein öffentliches Bild in so kurzer Zeit so zielstrebig verändert wie Nahles. Dass sie jemals den Schlüsselposten in einer Regierung einnehmen könnte, und das in einer Koalition mit CDU und CSU: Das hätte zu Beginn ihrer Karriere kaum jemand vorhergesagt. Sie amtierte gerade zwei Monate als Juso-Chefin, da half die 25-Jährige auf dem Mannheimer Parteitag 1995 schon kräftig mit, den damaligen SPD-Chef Rudolf Scharping zu stürzen, ihren Landsmann aus Rheinland-Pfalz. Drei Jahre später wetterte sie, mit Gerhard Schröder nominiere die Partei ausgerechnet die „Abrissbirne sozialdemokratischer Programmatik“ zum Kanzlerkandidaten. Die Quittung folgte: 2002 bekam sie keinen sicheren Listenplatz für den Bundestag mehr, vorübergehend musste sie im Hauptstadtbüro der IG Metall Unterschlupf suchen.
Ihren Wiederaufstieg verdankte sie dem Frust über Schröders Agenda-Politik. Weil dem Kanzler auf dem tristen Bochumer Parteitag 2003 die Truppen davonliefen, musste er die Linke einbinden. Deshalb holte er Nahles, die anders als der harte Kern der Agenda-Gegner auch zu taktischen Wendungen fähig war, ins Parteipräsidium. „Mit Linken, die im rechten Augenblick ihre Überzeugungen der Machtfrage unterordnen, kann Schröder etwas anfangen“, kommentierte eine Zeitung damals.