Währungskrise : Ist die Türkei noch zu retten?
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Noch stehen die Türken hinter ihrem Präsidenten – doch der Absturz der Lira kennt kein Halten. Bild: EPA
Bedrohlich spitzt sich die Krise zu. Nur mit einer geldpolitischen Kehrtwende wäre sie zu lösen, sagen Ökonomen. Doch Erdogan denkt nicht daran.
Die vergangenen Wochen waren hart für die Türkei. Seit Jahresbeginn hat die Landeswährung Lira mehr als 45 Prozent verloren. Unter Anlegern macht sich Panik breit. Der Handel mit Aktien der Großbanken Yapi Kredi, Akbank und Isbank wurde zeitweise ausgesetzt, nachdem die Kurse um mehr als 11 Prozent eingebrochen waren. „Investoren versuchen, ihr Geld noch kurzfristig abzuziehen“, sagte der Chef des Ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts, Clemens Fuest, zum Kursverfall der Lira.
Maßnahmen der Zentralbank, um die Situation zu beruhigen, zeigten am Montagvormittag nur vorübergehend Wirkung. Zwar schrieb die Zentralbank, sie werde „alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Finanzstabilität zu erhalten“. Sie senkte die Mindestreserveanforderungen für Devisengeschäfte. Dies sollte 6 Milliarden Dollar Liquidität freisetzen. Analysten zeigten sich aber skeptisch, ob dies genug sei für eine Wende.
„Das reicht nicht“, sagte der Chefvolkswirt und Türkei-Experte Gunter Deuber von der Raiffeisen Bank International in Wien. Angesichts des Inflationsschocks müsste die Zentralbank geldpolitisch das Ruder herumreißen und die Leitzinsen erhöhen. Er schätzt, dass die Inflationsrate wegen der Lira-Abwertung bald auf mehr als 20 Prozent steigt. Da sei der Leitzins von derzeit rund 18 Prozent zu niedrig.
„Heimtückische Verschwörung“
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat jedoch klargemacht, dass er keine höheren, sondern niedrigere Zinsen will. In früheren Reden hat er eine ominöse „Zinslobby“ für wirtschaftliche und finanzielle Probleme verantwortlich gemacht. Beobachter sehen darin eine antisemitische Anspielung. Mit Blick auf die neuen Sanktionen und Zölle der Trump-Regierung nach der Verhaftung eines amerikanischen Pastors durch türkische Behörden sprach Erdogan am Wochenende von einer „heimtückischen Verschwörung“.
Einem Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) für eventuelle Finanzhilfe erteilte Erdogan eine klare Absage. „Wir wissen sehr gut, dass die, die uns ein Geschäft mit dem IWF vorschlagen, uns eigentlich vorschlagen, die politische Unabhängigkeit unseres Landes aufzugeben“, sagte er. Ökonomen hielten ein vorsorgliches IWF-Abkommen, wie es die Türkei in der Finanzkrise 2009 geschlossen hatte, aber für einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung. „Damit könnte die Türkei das Vertrauen in die türkische Wirtschaft meines Erachtens stabilisieren“, sagte Ifo-Chef Fuest der F.A.Z.
Die Krise in der Türkei
Die Türkei steckt in einer schweren Währungskrise. Die Preise steigen rapide, die Lira sackt ab, die Menschen horten Dollar.
Der türkische Staat ist zwar mit weniger als 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) recht niedrig verschuldet. Dafür hat der private Sektor in den vergangenen Jahren hohe Kredite aufgenommen, vor allem auch in Fremdwährungen wie Dollar und Euro. Allein die Banken sind mit mehr als 230 Milliarden Dollar verschuldet, der gesamte Privatsektor kommt auf gut 300 Milliarden Dollar Devisenkredite. Durch den Lira-Verfall wird diese Schuldenlast nun schwer tragbar.
Hohe Arbeitslosenquote
„Die türkische Wirtschaft und die Banken haben einen sehr hohen externen Finanzierungsbedarf durch ihre Auslandsschulden“, betonte der Ökonom Guntram Wolff, Direktor des Brüsseler Instituts Bruegel. Ein Großteil davon seien kurzfristige Schulden. Es werde schwierig, das zu schultern, weil das Vertrauen der Märkte in die Türkei so stark gelitten habe. Es könne sein, dass die Banken bald Schwierigkeiten hätten, sich zu erträglichen Konditionen zu refinanzieren. „Bei einer weiteren Negativentwicklung müsste der Staat stützen, und dann hätte das ganze Land bald Probleme.“ Angesichts der sich abzeichnenden Knappheit an Devisen der Banken erwartet Raiffeisen-Ökonom Deuber schon bald Begrenzungen der Banken bei Dollar-Abhebungen. Dies wäre eine Vorstufe zu Kapitalverkehrskontrollen. Weil viele genau ein solches Szenario fürchten, hat die Unsicherheit den Run auf die Banken verstärkt. Vollständige Kapitalverkehrskontrollen hält Deuber für unwahrscheinlich. Sie würden den Außenhandel extrem erschweren. Der Ökonom verweist in diesem Zusammenhang auch auf das hohe Leistungsbilanzdefizit der Türkei.
„Die Türkei mit ihrer überhitzten und künstlich kreditfinanzierten Wirtschaft müsste eigentlich eine Anpassungsrezession durchmachen“, sagt der Wiener Ökonom Deuber. „Doch das ist politisch natürlich sehr heikel.“ Die Arbeitslosenquote in der Türkei liegt – jenseits der Landwirtschaft – bei mehr als 12 Prozent.