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Neuer Wirtschaftsminister : Habeck will Geschichte schreiben

Wachwechsel: Robert Habeck und sein Vorgänger Peter Altmaier Bild: AFP

Ökologisch-sozial soll die Marktwirtschaft werden. Seinem Vorgänger überreicht der neue Wirtschafts- und Klimaminister ein „Hippie-Geschenk“.

          3 Min.

          „Das ist ein bisschen Hippie, aber ich komme nun mal aus einer Hippie-Partei“: Zur Amtsübergabe am Mittwochnachmittag streifte der neue Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) seinem Vorgänger Peter Altmaier (CDU) ein Armband aus recyceltem Fischernetzplastik über. Die beiden hatten sich im Jahr 2012 während eines Wattbesuchs in Friedrichskoog kennengelernt. Altmaier war damals gerade Bundesumweltminister geworden, Habeck Umweltminister Schleswig-Holsteins.

          Christian Geinitz
          Wirtschaftskorrespondent in Berlin
          Julia Löhr
          Wirtschaftskorrespondentin in Berlin.

          Nun ist Habeck Bundesminister – und Altmaier Privatier. In seiner virtuellen Antrittsrede vor den Mitarbeitern des Ministeriums warb Habeck für den Schulterschluss der verschiedenen Abteilungen des Hauses. Mit dem Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität könne man „gemeinsam Geschichte schreiben“. Aus der sozialen solle eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft werden. Dafür wolle er die „Kreativität der Märkte“ nutzen, sagte Habeck im Ludwig-Erhard-Saal. Die immer wieder diskutierte Frage, ob es mehr oder weniger Staat in der Wirtschaft brauche, hält er für nicht zielführend. Statt Dogmatik brauche es einen „idealistischen Pragmatismus“. Die Devise müsse lauten: „Schneller planen, schneller bauen.“

          Habeck erläuterte, wie er für diesen Zweck die Leitungsebene des Ministeriums umbauen will. Als beamteter Staatssekretär soll sich Udo Philipp um die Felder Außenwirtschafts-, Industrie- und Digitalpolitik kümmern, Sven Giegold um Europa-, Mittelstands- und Wirtschaftspolitik, Patrick Graichen um die Energie- und Klimapolitik. Anja Hajduk soll die Arbeit mit den übrigen Ministerien koordinieren. Die Abteilung L (Leitung und Planung) soll zur Transformationsabteilung umgebaut werden, die das Scharnier zwischen den wirtschaftspolitischen und den klimapolitischen Themen bilden soll.

          80 Prozent regenerativer Strom bis 2030

          Die Erwartungen an Habeck als Superminister sind auch deshalb hoch, weil der Klimaschutz im Wahlkampf eine große Rolle spielte, nicht zuletzt durch die Flutkatastrophe im Sommer. Eine Bürde für den Grünen liegt darin, dass die Menschen zwar immer mehr für die Energiewende und den Klimaschutz zahlen, die positiven Auswirkungen aber auf sich warten lassen. Noch vor Amtsantritt hat Habeck daher die Erwartungen gedämpft, sprach von einem „Langstreckenlauf“. Als Ziel hat sich die Ampel-Koalition gesetzt, dass im Jahr 2030 mindestens 80 Prozent des deutschen Strombedarfs aus regenerativen Quellen gedeckt werden. Die alte Regierung hatte 65 Prozent geplant.

          Um das höhere Ziel zu erreichen, will Habeck das Ausbautempo bei Photovoltaik- oder Windkraftanlagen verdrei- bis vervierfachen. Schon ausgewiesene Flächen sollen kurzfristig für die Ökostromproduktion genutzt werden können, auch wenn es bislang Bedenken etwa wegen des Tier- oder Wasserschutzes gibt. In Habecks beschleunigtem Vorgehen deutet sich ein Konflikt mit Natur- und Tierschützern an, einem wichtigen Teil der grünen Basis. Letztlich sollen gemäß Koalitionsvertrag 2 Prozent der deutschen Landflächen für erneuerbare Energien genutzt werden.

          Der neue Minister und Vizekanzler möchte zudem den Netzausbau beschleunigen, denn bisher wird die meiste Windkraft im Norden erzeugt, der Bedarf besteht aber vor allem im Süden und Westen. Ein neuer Hoffnungsträger ist Wasserstoff, die Elektrolyseleistung dafür soll bis zum Jahr 2030 auf 10 Gigawatt steigen. Das Vorziehen des Kohleausstiegs von 2038 auf 2030 wollen die Grünen dadurch erreichen, dass sie für einen hohen CO2-Preis von mindestens 60 Euro je Tonne sorgen, sich Kohlestrom damit nicht mehr rechnet.

          Auch wenn Habecks Fokus mehr als der von Altmaier auf dem Klimaschutz liegen wird – an den anderen Themen des Ministeriums wird er kaum vorbeikommen. Das gilt allen voran für die Konjunkturpolitik. Die Corona-Krise zieht sich weitaus länger hin als erwartet. Zum Jahresende könnte die deutsche Wirtschaft angesichts der wachsenden Einschränkungen für Handel, Gastronomie und Veranstaltungswirtschaft wieder in die Rezession abrutschen. Die Wachstumsprognose für 2022 – 4,6 Prozent sagten die Wirtschaftsweisen Mitte November voraus – wird angesichts der Omikron-Variante zunehmend fraglich.

          Klar ist, dass mit Habeck ein neuer Stil im Ministerium einzieht. Er pflegt das Bild des nahbaren Politikers, der sich gern beim Nachdenken zuhören lässt. Altmaier konnte dagegen zu nahezu jedem Thema präsidial klingende Vorträge halten – und tat das auch gern. In seiner Abschiedsrede bedankte er sich ausdrücklich bei seinen Fahrern, dass sie seine Monologe ausgehalten hätten „und immer so taten als seien sie interessiert“.

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