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Italien und russisches Gas : Draghi: „Wollen Sie Frieden oder eine laufende Klimaanlage?“

Der niederländische Ministerpräsident Markt Rutte (links) und sein italienischer Amtskollege Mario Draghi Bild: AFP

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi facht die Debatte um ein Gas-Embargo an. Rom laviert in der Frage nach einem Importstopp. Das Land ist von russischen Einfuhren fast so abhängig wie Deutschland.

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          Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi hat die Debatte um russische Gaseinfuhren auf den Punkt gebracht: „Bevorzugen Sie den Frieden oder die laufende Klimaanlage?“ Mit dieser Gegenfrage entgegnete er der Frage eines Journalisten während einer Pressekonferenz am Mittwochabend in Rom. Die Antwort blieb Draghi freilich schuldig. Das zeigt: Auch Italien laviert in der Gasembargo-Frage. Das Land ist von russischen Einfuhren fast so abhängig wie Deutschland, und in den heißen Sommern sind geschätzte 24 Millionen Klimaanlagen in Betrieb. „Wenn die EU sich auf ein Gas-Embargo einigt, dann folgen wir dem sehr gerne“, sagte der Ministerpräsident. Wofür sich seine Regierung ausspricht, ließ er offen. Italien dürfte nicht das einzige Land sein, dass sich derzeit hinter der offenen Opposition Deutschlands gegen ein Gasembargo versteckt.

          Christian Schubert
          Wirtschaftskorrespondent für Italien und Griechenland.

          Draghi will bei den Energiesanktionen dennoch nicht stillstehen: „Wir sind bereit, mit unseren europäischen Partnern weitere Schritte im Energiebereich zu unternehmen“, sagte der Ministerpräsident am Donnerstag nach einem Treffen mit seinem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte. Italien plädiert mit einigen anderen Ländern seit Wochen für eine Gaspreis-Obergrenze, die Europa aufgrund seiner Marktmacht durchsetzen könne, stößt dabei jedoch auf den Widerstand der deutschen und anderer Regierungen. Mehr Spielraum als bei Gas hätte Italien indes bei den Öleinfuhren. Nur rund 10 Prozent kommen aus Russland. „Unsere Zulieferländer sind stärker diversifiziert, ein Ölembargo ließe sich leichter durchsetzen als ein Gasembargo“, sagt der italienische Ökonom und Energiefachmann Davide Tabarelli.

          Zweitgrößter Importeuer von russischem Gas

          Die italienische Debatte ist für Deutschland wichtig, denn die Italiener sind von den russischen Gasimporten ähnlich abhängig und wären als zweitgrößte Industrienation der EU vor Frankreich auch in ihren wirtschaftlichen Strukturen von einem Embargo stark betroffen. Bisher ist Italien als zweitgrößter europäischer Importeur von russischem Gas nach Deutschland in der Embargo-Frage der deutschen Linie gefolgt. Zuletzt haben führende Politiker wie der Außenminister Luigi Di Maio und der Chef der Regierungspartei PD, Enrico Letta, ein Gasembargo befürwortet. Doch der Regierungschef Draghi, der einer zerbrechlichen Koalition von weit rechts bis weit links vorsteht, lässt die Frage bisher bewusst offen.

          Für Italien ist Gas allgemein noch wichtiger als für Deutschland. Sein Primärenergiebedarf wurde davon 2020 zu 42 Prozent gedeckt, gegenüber 26 Prozent in Deutschland. Rund 40 Prozent der Gaseinfuhren stammten im vergangenen Jahr aus Russland – weniger als in Deutschland. Italien verfügt auch über drei Flüssiggas-Terminals und hat zwei schwimmende Anlagen in Auftrag gegeben; eine Pipeline führt zudem Gas aus Aserbaidschan über die Adria nach Italien, und das Land bezieht erhebliche Gasmengen aus Algerien sowie Libyen. Am kommenden Montag reist Draghi nach Algier, um dort beim Präsidenten Abdelmadjid Tebboune die Möglichkeit höherer Importe auszuloten.

          Alternativen reichen nicht

          Doch nach Ansicht von Energieexperten reichen die Alternativen nicht, um russisches Gas rasch zu ersetzen. „Wenn man das Embargo will, muss man den Leuten reinen Wein einschenken. Ohne Rationierung ginge es nicht“, sagt Energiefachmann Tabarelli. Russische Gaseinfuhren nach Italien von 29 Milliarden Kubikmeter müssten ersetzt werden, das Doppelte der von den Vereinigten Staaten kürzlich ganz Europa versprochenen Menge. Nach seiner Rechnung könnten Algerien und Libyen vielleicht 5 Milliarden Kubikmeter mehr liefern. Durch Flüssiggas und die Pipeline aus Aserbaidschan ließen sich weitere 3 Milliarden Kubikmeter beschaffen.

          Die eigenen Gasreserven, die Italien kaum nutzt, könnten vielleicht eine weitere Milliarde Kubikmeter bringen. Doch die Lücke sei damit nicht mal zur Hälfte gedeckt. „Es müssten wegen Gasknappheit also auch Unternehmen schließen“, sagt Tabarelli. Nach seinen Schätzungen könnte ein Gasembargo das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 2 Prozent schrumpfen lassen. Das italienische Finanzministerium zeigt sich dagegen optimistischer: Ein Gasembargo würde das Wirtschaftswachstum im besten Fall in diesem Jahr nur um 0,8 Prozent und im kommenden Jahr um 1,1 Prozentpunkte verringern, heißt es in einer aktuellen Untersuchung. Im schlimmsten Fall würde das Wachstum 2022 um 2,3 Prozentpunkte und im Folgejahr um 1,9 Prozentpunkte gedrückt. Italien hat seine Wachstumsschätzung für 2022 gerade von 4,7 auf 3,1 Prozent verringert.

          Sollte es nach der Kohle zu weiteren Embargos kommen, dann fordert Italien eine gemeinschaftliche Finanzierung ähnlich wie beim Europäischen Wiederaufbaufonds, der im Zuge der Pandemie gebildet wurde. Die unmittelbaren Kriegskosten plus die Investitionen in Verteidigung, Ökologie und Digitalisierung seien „für keinen nationalen Staatshaushalt“ tragbar, sagte Draghi, „wir müssen neue Instrumente finden und gleichzeitig sicherstellen, dass die Mittel effizient und ehrlich eingesetzt werden“.

          Bei den italienischen Energieplänen sind indes auch die Widerstände vor Ort nicht zu unterschätzen. Der Bürgermeister der Hafenstadt Piombino in der Provinz Livorno hat die Verankerung eines Schiffes für die Umwandlung von Flüssiggas zu Gas aus Umweltgründen abgelehnt. Eine Auseinandersetzung mit dem Energie- und Umweltminister Roberto Cingolani ist entbrannt. Das letzte Wort scheint noch nicht gesprochen.

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