Kritik an der Bundesregierung : Die Sicherheit der Stromversorgung kostet so viel wie nie
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Techniker warten in Frankfurt Stromleitungen an Hochspannungsmasten. Bild: dpa
Weil Leitungen für die Energiewende fehlen, nähern sich die Kosten für die Aufrechterhaltung der sicheren Stromversorgung Rekordwerten. Schon im Frühjahr entstand ein Aufwand von fast einer halben Milliarde Euro. Zahlen muss dafür der Verbraucher.
Weil Leitungen für die Energiewende fehlen, steuern die Kosten für die Aufrechterhaltung einer sicheren Stromversorgung in diesem Jahr auf Rekordwerte zu. Schon von Januar bis März ist für Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen ein Aufwand von knapp einer halben Milliarde Euro entstanden, der über die Strompreise auf die Verbraucher umgelegt wird. Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Jahr waren es 1,1 Milliarden Euro.
Wie aus den jüngsten Zahlen der Bundesnetzagentur hervorgeht, erklärt sich die Kostensteigerung durch die drastisch erhöhten Entschädigungszahlungen für Windkraftwerke, die ihren Strom wegen einer drohenden Netzüberlastung nicht einspeisen konnten. In solchen Fällen können die Netzbetreiber die Abregelung der Windräder anordnen, müssen die Betreiber aber für die „Ausfallarbeit“ entschädigen. Allein dafür wurden Kosten von 364 Millionen Euro fällig.
Damit lägen die von den Netzbetreibern veranschlagten Entschädigungsansprüche der Anlagenbetreiber „auf dem bislang höchsten Quartalsniveau“, heißt es in dem Papier der Netzagentur. Auch bezogen auf die Gesamtkosten der Netzsicherheit, also einschließlich des Aufwandes für Reservekraftwerke und die Eingriffe in den konventionellen Kraftwerkspark (Redispatch), war es das teuerste Quartal seit Beginn der Energiewende.
Strom aus Windkraft nicht genutzt
Die ersten Monate dieses Jahres waren besonders windig, so dass die Kraftwerke auf Volllast hätten laufen können. Eine Strommenge von 3265 Gigawattstunden konnte wegen der Engpässe im Netz aber nicht genutzt werden, knapp 1300 Gigawattstunden mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Die höheren Zahlen dürften aber nicht zu dem Missverständnis führen, dass neu installierte Anlagen nicht mehr ins Netz einspeisen dürften, betont die Netzagentur. Auch im ersten Quartal seien 95 Prozent des erzeugten Ökostroms abtransportiert worden, die Quote liege damit auf dem gleichen Niveau wie Anfang 2018. Trotz der Abregelungen sei das Windstromaufkommen von Januar bis März um rund 21 Prozent höher gewesen als im Vorjahresquartal.
Die neuen Zahlen halten Politik und Wirtschaftsverbände sowie Interessenvereinigungen der Erneuerbaren nicht davon ab, die Netzagentur dafür zu kritisieren, dass sie weniger Windstromausbau im Norden zulassen will und beim Leitungsbau zuweilen auf die Bremse tritt. Anfang der Woche war bekanntgeworden, dass die Netzagentur den ohnehin schleppenden Ausbau der Windkraft in den norddeutschen Küstenländern wegen der Engpässe im Stromnetz begrenzen will.
„Das völlig falsche Signal“
Die Unternehmerverbände Niedersachsen bewerteten dies als „das völlig falsche Signal“. Der Ausbau sei mit nur 14 neuen Windkraftanlagen in Niedersachsen im ersten Halbjahr schon schmal. Langwierige Genehmigungsverfahren und sich häufende Klagen, „die Mehrzahl ausgerechnet von Umweltverbänden“, schreckten Investoren ab, sagte Hauptgeschäftsführer Volker Müller. Notwendig seien „mehr Windräder und zügig weitere Stromleitungen, um den Strom in den Süden zu bekommen“. Sonst werde es häufiger zu kritischen Netzlagen kommen wie im Juni. Unzufrieden ist auch der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE).
Dass die Agentur bei der Bewilligung des „Netzentwicklungsplan Strom 2019–2030“ einige Projekten zusammengestrichen habe, sei „kontraproduktiv für die Energiewende und für den Klimaschutz“, sagt Verbandspräsidentin Simone Peter. Das gelte umso mehr, als die Agentur den Ausbaudeckel für die Windenergie verschärfen wolle, weil die Leitungen nicht reichten.
Die Entscheidungen zeigten, „wie unstrukturiert die Bundesregierung die Energiewende fortsetzt und damit künstlich verlangsamt“, sagte die frühere Grünen-Vorsitzende Peter. Eigentlich hätte die Bundesnetzagentur die Pläne der Netzbetreiber daraufhin prüfen sollen, ob der zusätzliche Strombedarf durch Elektromobilität, Wärmepumpen und Wasserstofftechnologien abgebildet werde und die Effizienzannahmen stimmten.
Die Netzagentur gehe nun von einer unrealistischen Stagnation des Stromverbrauchs bis 2030 aus. Zu niedrige Verbrauchsannahmen führten zu Fehlplanungen und würden dem erforderlichen Ausbau erneuerbarer Energien nicht gerecht.