Mehr Macht für die Netzagentur : EuGH-Generalanwalt bemängelt Abhängigkeit
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Strommasten in der Schweiz. Bild: dpa
Einem Gutachten nach verstößt das deutsche Energierecht in zentralen Fragen gegen EU-Vorgaben bezüglich des Strom- und Gasmarktes. Wenn der EuGH dieser Ansicht folgt, sind bald Reformen fällig.
Das deutsche Energierecht verstößt in zentralen Fragen gegen EU-Vorgaben zur Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes. Zu diesem Ergebnis kommt der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in seinem Schlussantrag zu einem seit mehreren Jahren schwelenden Rechtsstreit mit der Europäischen Kommission. Im Vordergrund steht die im EU-Recht verankerte Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden, in Deutschland also der Bundesnetzagentur. Nach Meinung der Kommission und des Generalanwalts macht der deutsche Gesetzgeber der Behörde so detaillierte Vorgaben für die Festlegung der Netzentgelte und der Bedingungen für den Netzzugang, dass ihr Handlungs- und Ermessensspielraum zu sehr beschnitten wird.
Sollte der EuGH dem Gutachten folgen – was erfahrungsgemäß in neun von zehn Verfahren der Fall ist –, würden einschneidende Reformen erforderlich. Vieles von dem, was bisher in Verordnungen geregelt wird, müsste die Behörde rechtlich umsetzen. Dadurch würde es zumindest vorübergehend schwieriger, die für die Energiewende notwendigen Milliardeninvestitionen zu stemmen, befürchten Kapitalgeber und Energierechtsanwälte. „Eine für die Bundesrepublik negative Entscheidung des EuGH hätte in jedem Fall erhebliche Rechtsunsicherheiten zur Folge“, sagte Jörg Meinzenbach, Energierechtsexperte der Kanzlei Hengeler Mueller. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) warnt, dass dies Kapitalgeber abschrecken könnte. „Das Regulierungssystem muss dem Ziel verpflichtet sein, die im Zuge der Energiewende notwendigen Investitionen in die Netzinfrastruktur anzureizen und sicherzustellen“, forderte der BDEW. Der Gesetzgeber müsse die Möglichkeit haben, für eine „konsistente Energiepolitik“ auch in Zukunft einen politischen Rahmen für die Regulierungsentscheidungen zu treffen.
Dabei geht es um die in den kommenden Jahren anstehenden Investitionen in die Strom- und Gasnetze, für welche die Betreiber gewaltige Milliardenbeträge kalkulieren. Entscheidende Größe für Investoren ist die Eigenkapitalrendite, welche die Netzagentur jeweils für mehrere Jahre festsetzt. Ende 2022 steht die Aktualisierung für Gaspipelines, ein Jahr später für Stromleitungen an. Sollte der EuGH eine Änderung des Ordnungsrahmens erzwingen, fiele diese voraussichtlich mitten in die Entscheidungsphase zur Festlegung neuer Netzentgelte. Die Schlussanträge seien nur ein „Entscheidungsvorschlag“, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Mit einem Urteil sei etwa zur Jahresmitte zu rechnen.